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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einem zitrusfarbenen Schleier, der unentwegt vom Wüstenwind bewegt wurde. Sie war zur Verführung geworden, etwas, das er ihr noch vor wenigen Jahren nicht zugetraut hätte.
    »Ich bin mit Philipp vor einer Stunde eingetroffen«, sagte sie.
    Pilatus blickte an seiner verschmutzten Toga hinab. »Bitte verzeih«, sagte er. »Du triffst mich ein wenig lädiert an. Diese Wege hierzulande, diese Hügel, dieses elende Gestein … Braun, wohin man sieht. Nie weiß man, wo man gerade ist. Wie soll es einen da nicht schwindeln? Und die Sonne steht hier immer hoch am Himmel. Ich schwöre dir, manchmal glaube ich, sie springt morgens vom Horizont direkt in den Zenit und bleibt dort den ganzen Tag. Erbarmungslos.«
    Salome schüttelte den Kopf und lachte. »Du bist ein Witzbold.«
    Das war eine unangemessene Bezeichnung für einen Stellvertreter des erhabenen Kaisers, aber Pilatus störte sich nicht daran, sondern genoss die Gesellschaft einer Frau. In Judäa, so sagte er immer, gab es weniger reizvolle Frauen als Wolken – und das wollte etwas heißen.
    »Das ist noch nicht alles«, beklagte er sich, froh, jemanden gefunden zu haben, dem er sein Leid mit diesem Land klagen konnte. »Wenn wenigstens die Menschen hier normal wären. Aber nein, es wimmelt plötzlich von Erlösern – wie nennt ihr das, Messias ? An jeder Ecke scheint einer zu stehen. Fischer werden zu Erlösern, Zöllner, Bauern, Vagabunden, Tischler... Und jeder predigt etwas anderes, der eine Liebe, der andere Hass, der dritte eiserne Regeln und der vierte unbegrenzte Freiheit. Sie sind sich untereinander so uneins wie Romulus und Remus, und deswegen kann ich auch tun, was ich will, ich habe bestimmt immer irgendeine Volksgruppe gegen mich.«
    »Ich habe dir schon damals, als wir uns kennen lernten, gesagt, dass wir Juden kompliziert sein können.«
    »Und wie kompliziert, furchtbar!«, jammerte er. »Einmal lugte eine Legionsstandarte mit dem römischen Adler ein klein wenig über die Mauer der Burg Antonia in Jerusalem, und schon geriet die halbe Stadt in Aufruhr.«
    »Abbildungen sind Juden ein Gräuel.«
    Er verdrehte die Augen. »Wie zählt ihr Juden bloß die römischen und griechischen Münzen nach, die man euch ausgibt? Da sind doch auch überall Abbildungen drauf.«
    »Dieses Geheimnis habe ich auch noch nicht gelöst«, erwiderte sie schmunzelnd.
    »Und da soll einer den Durchblick behalten! Wie dem auch sei, ich bin nun acht Jahre in Judäa, und trotzdem habe ich noch nicht eine Messerspitze von dem verstanden, was euch umtreibt. Mal revoltieren die einen, dann revoltieren die anderen. Nur die Fanatiker, die revoltieren immer. In den letzten Monaten haben sie ihre Anschläge verstärkt. Sie überfallen nicht mehr nur Gelehrte und Pharisäer, sondern vereinzelt auch griechische und römische Händler. Sogar der Kaiser hat schon davon gehört und mir einen energischen Brief geschrieben, woraufhin ich drei Tage mit Fieber im Bett lag. Was soll ich machen? Man weiß nie, wo und wen die Fanatiker als Nächstes töten, nur die Art des Tötens ist immer dieselbe. Sie benutzen Krummdolche, sicari , mit denen sie Bäuche aufschlitzen. Daher nennen wir die Mörder sicarii .«
    »Zeloten«, stellte Salome traurig fest.
    Pilatus zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Egal, wie sie heißen. Sie sind verrückt, einfach verrückt.«
    »Sie sind nicht verrückt geboren«, korrigierte Salome sacht. »Sie sind es geworden. Man müsste die Ursachen dafür finden und …«
    »Es wäre Unfug, zu versuchen, den Sinn hinter ihren Taten zu verstehen. Man muss sie umbringen. Das ist die einzige Taktik.«
    »Bisher hatte diese Taktik, wie du es nennst, wenig Erfolg.«
    Pilatus hatte die ganze Zeit über unbefangen geplaudert, wie es seine Art war. Nun änderte sich sein Gesichtsausdruck, und seine Worte klangen ungewohnt überlegt.
    »Ich muss gestehen, Fürstin, dass ich gerade von dir am wenigsten Kritik erwartet hätte. Immerhin ist das Vorgehen deines Gemahls mit schuld an der Lage.«
    Salome runzelte die Stirn. »Inwiefern, bitte?«
    »Philipp nimmt in Basan kaum Verhaftungen vor, niemand wird hingerichtet, niemand ausgeliefert. Er hat keine Spitzel, seine örtlichen Ordnungskräfte sind nachlässig, seine ganze Politik den Verrückten gegenüber unverständlich. So rottet man keine Fanatiker aus.«
    »Unser Ziel, edler Pilatus, ist, den Fanatismus auszurotten, nicht die Fanatiker. Philipp bekämpft den Irrsinn, indem er ihm den Nährboden entzieht, nämlich die

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