Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Ich flehe dich an. Es darf nicht sein.
»Ist er tot?«, fragte Pilatus einen herbeigerufenen Arzt.
Der Medicus ließ sich mit der Antwort Zeit. Dann stand er auf, blickte auf den Reglosen hinab und sagte: »Nein. Er lebt.«
Salome sackte in Philipps Armen zusammen.
Masada war mit allem Luxus ausgestattet. Hier gab es edel eingerichtete Bäder mit Schwimmbassins, eine Bibliothek, in der allerdings Antipas’ Geschmack gemäß vornehmlich erotische Literatur zu finden war, zwei Festsäle, einen Theaterraum, vier Küchen, die vom einfachsten Brei bis zu raffiniert gefüllten Pfauen und feinstem Zuckerwerk alles herstellen konnten, einen bis zum Rand gefüllten Weinkeller, in dem man sich verlaufen konnte, einen kleinen, üppigen Garten mit einer Voliere und eine schier unübersichtliche Anzahl an Quartieren. Manche behaupteten, Masada könne mehr Menschen aufnehmen als die neue Metropole Philippi, die derzeit entstand. Auch wenn das übertrieben war, stand fest, dass Masada die größte, sicherste und komfortabelste Festung war, die zwischen Griechenland und Ägypten existierte.
Die meisten Quartiere waren für die Mannschaften gemacht, einfache Löcher ohne Tageslicht, zugig und eng. Sie lagen abseits des Palastes am anderen Ende des Berges, und keiner der Gäste bekam sie je zu Gesicht. Die Gemächer des Palastes waren großzügig ausgestattet mit Truhen aus afrikanischem Ebenholz, schweren Lüstern und Matratzen, die mit Hasenfellen gestopft waren, dazu reiche Ornamente an Wänden und Böden, zwitschernde Vögel in hängenden Käfigen, wärmende Kohlenbecken...
Philipps Quartier hatte nichts von alledem, stellte Salome fest, als sie erwachte. Sie war allein. Vier Fackeln, an jeder Wand eine, erhellten den nahezu kahlen Raum. Außer einigen Kleidertruhen, die ihr Mann auf jeder Reise mit sich nahm, gab es nur noch einen kleinen Tisch, auf dem zahlreiche Berichte und Dokumente gestapelt lagen, Zeichen dafür, dass Philipp jeden Tag arbeitete, gleichgültig, wo er sich befand. Auf beiden Seiten der Eingangstür standen bemalte Statuen, rechts ein nackter Mars, links eine nackte Aphrodite. Zwischen den beiden unbekleideten Göttern plötzlich Philipp auftauchen zu sehen, hatte etwas Komisches. Doch Salome war nicht zum Lachen zumute.
»Kommst du von Timon?«, empfing sie ihren Gemahl.
Er nickte.
»Wie geht es ihm?«
»Es geht ihm den Umständen entsprechend.«
Sie runzelte die Stirn. »Was ist denn das für eine unsinnige Beschreibung«, fuhr sie ihn an. »Auch einem Einarmigen oder Toten geht es den Umständen entsprechend. Kannst du dich nicht klarer ausdrücken?«
Es war unrecht, Philipp so vor den Kopf zu stoßen, ihn, der sie im Festsaal vor schlimmen Folgen bewahrt hatte, der Timon besuchte und nun an ihre Seite gekommen war, um sie zu trösten. Und sie wusste das auch. Aber ihr Kopf war, wenige Atemzüge nach ihrem Erwachen, voll mit Sorgen und Ärger, die sich miteinander mischten.
Philipp blickte sie, unbeeindruckt von ihrem Ausbruch, geduldig und fast zärtlich an.
»Er wird also gesund?«, fragte sie, ohne den gereizten Unterton abzulegen.
»Seine Wunden sind eher oberflächlich. Er wurde vermutlich nur aus Schwäche ohnmächtig.«
»Kann er sprechen?«
»Ja, er hat mir erzählt, dass zwei Männer ihn überfielen. Es gab einen Kampf. Timon wäre beinahe von der Mauer gefallen. Er konnte ausweichen, als einer der Unbekannten auf ihn zustürzte – und selbst über die Mauer in die Tiefe fiel. Der andere Unbekannte ergriff daraufhin die Flucht.«
»Ich gehe zu Timon.«
Salome wollte bereits von ihrem Lager aufstehen, als Philipp sie sanft zurückhielt. »Er schläft jetzt«, erklärte er.
»Ich will dennoch zu ihm, wenn du gestattest. Wobei dieser zweite Teil nur eine Floskel ist. Selbst wenn du es nicht gestattest, werde ich zu ihm gehen.«
»Natürlich gestatte ich es. Gang nach rechts, zweite Tür.«
»So nah?«
»Ich hielt es für besser, wenn er in unmittelbarer Nähe liegt. So können wir seine Genesung besser überwachen, und er ist sicherer.«
Etwas beschämt blickte sie zu Boden. Wieder einmal hatte sie Philipp völlig unnötig vor den Kopf gestoßen. Doch schon im nächsten Moment dachte sie erneut an Timon. Sie griff nach ihrem Umhang und legte ihn sich um die Schultern. Ihre Dienerinnen hatten sie wohl während ihrer Ohnmacht entkleidet, jedenfalls trug sie nur noch ihre Wäsche. Sie raffte den Umhang vorne mit den Händen zusammen und ging zur Tür.
»Hältst du es für
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