Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Wiesen waren zu dieser Jahreszeit schon weitgehend verdorrt, und als er seinen Schimmel, der mittlerweile in die Jahre gekommen war, zum Stehen gebracht hatte, waren Salome, Reiter und Pferd von einer braunen Staubwolke eingehüllt.
Salome hustete und rieb sich die Augen.
»Entschuldigung«, sagte Timon, sprang ab und gab ihr etwas Wasser aus dem Lederschlauch. »Ich habe vergessen, wie trocken der Boden ist.« Zum ersten Mal seit Wochen fasste er sie wieder zärtlich an, wenn auch nur, um den Staub von ihrem weißen Gewand zu wischen.
»Schon gut«, hustete sie lächelnd. »So sieht uns wenigstens keiner.« Sie tauschten Blicke, die keiner von ihnen zuordnen konnte.
»Ich wollte zu den Hainen reiten«, erklärte Timon.
»Von dort komme ich gerade.«
»Ernten sie schon?«
Sie verneinte. »Sie warten noch auf Vollmond, dann erst ist genug Saft in den Früchten.«
Timon klopfte seinem treuen Gaul auf den Hals und sagte: »Na, dann reite ich mal weiter. Ich will wieder zurück sein, bevor die Sonne untergeht.« Er saß schwungvoll auf, und Salome wollte bereits weitergehen, als er rief: »Es war schön, dich hier getroffen zu haben. Wir – wir sollten uns noch einmal aussprechen, möglichst bevor der Prokurator kommt. Es ist momentan bestimmt nicht leicht für dich, oder?«
»Es ging mir schon besser«, gab sie zu.
Er nickte verständig, und Salome wurde in diesem Augenblick von der Hoffnung, mehr noch, von der Gewissheit erfüllt, dass sie sich wieder versöhnen würden. »Ich freue mich schon«, sagte sie lächelnd.
»Ich mich auch. Ach, übrigens«, rief er und wendete sein Pferd noch einmal. »Entschuldige, wenn ich jetzt indiskret werde … Wie geht es ihm?«
»Wem?«
»Philipp natürlich.«
Sie zuckte mit den Schultern und wunderte sich über die Frage. »Keine Ahnung.«
»Ist er dir völlig gleichgültig?«, fragte Timon stirnrunzelnd.
»Seltsame Fragen stellst du heute. Ihn kümmerte es in letzter Zeit ja auch nicht mehr, wie es mir geht.«
Timon senkte betroffen den Kopf, und die Nähe, die sie eben noch gespürt hatte, war wieder verflogen, als er sagte: »Du hast dich verändert, Salome, sehr sogar. Früher warst du mitfühlend. Und du warst dankbar gegen jene, die dir einmal beigestanden haben. Philipp hat dich besser behandelt, als die meisten Männer ihre Frau behandeln, wenn sie erfahren, dass sie einen Rivalen haben. Und wie dankst du ihm das nun?«
Salome war verwirrt. Sie verstand überhaupt nicht, was Timon meinte.
»Hast du ihn besucht?«, fragte er.
Sie stutzte. »Nein. Wieso auch?«
»Dein Mann liegt im Fieber, und du setzt dich nicht eine einzige Stunde an sein Bett, ja, erkundigst dich noch nicht einmal nach seinem Zustand, hast nur noch Titel, Paläste und Macht im Kopf. Du wirst deiner Großtante sehr ähnlich, Salome.«
Er riss seinen Gaul herum und ritt davon, noch ehe sie ihm antworten konnte.
Sie war bestürzt. Philipp im Fieber? Niemand hatte sie davon in Kenntnis gesetzt! Die erste Empörung darüber wich rasch der Sorge um ihn. Salome zögerte keinen Atemzug lang und eilte in den Palast.
»Wo ist er?«, rief Salome, als sie Philipps Gemach betrat, in dem er sich allerdings nicht befand. Zwei Sklavinnen waren dort gerade damit beschäftigt, frische Feigen und Granatfrüchte in die Schalen zu füllen.
Die beiden ägyptischen Frauen sahen einander an und beschlossen übereinstimmend zu schweigen.
»Habe ich mich undeutlich ausgedrückt?«, fragte Salome scharf. Sie war es leid, dass ihr alles, aber auch wirklich alles in diesem Palast verschwiegen wurde. Philipp im Fieber! Und sie, seine Gemahlin, wurde nicht informiert! Sie ging auf die beiden jungen Sklavinnen zu und stellte sich derart drohend vor sie, so dass sie angstvoll zurückwichen. »Ich werde nicht noch einmal fragen.«
»Im Trakt der Dienstboten, Herrin«, flüsterte die eine von ihnen, und die andere nickte heftig dazu. »Bitte verrate Nathan nicht, dass wir es dir gesagt haben, Herrin.«
Salome verlor keine Zeit. Mit großen, entschlossenen Schritten, die jedem Soldaten in der Schlacht zur Ehre gereicht hätten, ging sie in den kleinen, etwas abseits gelegenen Teil des Palastes, wo sie auch sogleich auf Nathan traf. Der wuschelköpfige sofer schloss soeben eine Tür hinter sich, und als er Salome kommen sah, machte er keine Anstalten, diese Tür für sie freizugeben.
»Aus dem Weg«, schrie sie so laut, dass sowohl er als auch die Wache neben ihm zusammenzuckten.
»Philipp hat dir verboten,
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