Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
diesen Trakt zu betreten«, konterte Nathan nach dem ersten Schreck und wies die Wache an, Salome nicht durchzulassen.
»Der Mann, der mir etwas verbieten kann, ist noch nicht geboren worden. Das schließt dich ein.«
»Philipp braucht absolute Ruhe.«
»Ich habe auch nicht vor, ihm etwas auf dem Tamburin vorzuspielen«, erwiderte sie gallig. »Wenn du nicht auf der Stelle zur Seite trittst, lasse ich dich auspeitschen, bis dir die Haut vom Rücken platzt, und dich anschließend an deinen krausen Haaren am nächstbesten Ast aufknüpfen.«
»Ich bin Philipps engster Vertrauter, das wagst du nicht.«
»Meinst du? Du vergisst wohl, wie skrupellos ich einen Fürsten und einen Propheten erledigt habe. Da werde ich vor einem Schreiber wohl kaum zurückschrecken.«
Als er noch immer nicht reagierte, wandte sie sich um. »Gut, zähle bis hundert, dann bin ich wieder hier – mit meiner Leibwache.«
»Warte«, rief er, und gab endlich, wenn auch widerstrebend, die Tür frei.
Salome trat in die Dunkelheit des Raumes ein. In jeder Ecke brannten Öllampen, die gerade genug Licht spendeten, um die Umrisse dreier Gestalten in der Düsternis zu erspähen. Salome trat langsam näher und erkannte den griechischen Hofarzt, den sie für Timons Wunden hatte herbeiholen wollen. Dass er anderweitig beschäftigt sein sollte, war wohl ausnahmsweise keine Lüge von Nathan gewesen, sondern entsprach der Wahrheit. Er trug einen vollen grauen Bart, mit dem er wie Sokrates aussah. Sein Gehilfe, ein unscheinbarer Jüngling, rührte soeben eine Tinktur zusammen, deren Farbe Salome zwar nicht erkennen konnte, die allerdings stank, dass einem schlecht davon werden konnte. Philipp lag regungslos auf einem einfachen Bett, zugedeckt bis zum Hals, und schien zu schlafen. Soviel Salome erkennen konnte, ging sein Atem ruhig und regelmäßig, doch sein Gesicht war eingefallen und seltsam grau.
»Warum ist es dunkel in diesem Raum?«, flüsterte Salome.
»Deinem Gemahl, Herrin«, antwortete der Arzt nach einigem Überlegen, »schmerzen bei Licht die Augen.«
»Verstehe. Und seine graue Gesichtsfarbe, ist die üblich bei Fieber?«
Salome konnte erkennen, wie der Hofarzt einen flüchtigen Blick zu Nathan warf und die Hände rang. »Nun ja, bei diesem Fieber schon.«
»So? Um welches Fieber handelt es sich?«
»Um persisches Fieber.«
»Ich habe noch nie davon gehört.«
»Doch«, warf Nathan ein, »du hast soeben davon gehört.«
Salome ärgerte sich über Nathans Einmischung. Er schien hier alles und jeden zu kontrollieren. Doch wozu? Was versprach er sich davon? Warum war er so auffällig bemüht gewesen, Philipps Krankheit vor ihr zu verbergen? Und warum lag Philipp in diesem abgelegenen Trakt? Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen.
»Ist das Fieber bedrohlich?«
»Es kommt und geht, Herrin«, sagte der Arzt nach einem weiteren Blick zu Nathan. »Ich … ich kann nicht sagen, ob er es übersteht.«
Salome blieb noch bis in die Nachtstunden bei Philipp sitzen, immer auch in der Hoffnung, er würde erwachen, sie erkennen und anlächeln. Nicht nur, dass eine solche Geste ein Zeichen dafür gewesen wäre, dass er bei Bewusstsein und sein Zustand nicht hoffnungslos war, sie hätte auch ihr manches erleichtert. Neben ihrem kranken, gutmütigen Gemahl fühlte sie sich elend. Je länger Salome auf Philipps blasses, unheimlich graues Gesicht blickte, um so seltsamere Gedanken kamen ihr. War es möglich, dass die Flüche des Täufers Macht besaßen? Dass die herodianische Familie, einer nach dem anderen, ausstarb? Archelaos war schon längst in seinem Exil in den Pyrenäen verstorben, Theudion war dem Gift der Herodias erlegen, Antipas dem Wahnsinn verfallen. Sie alle waren ohne Sohn geblieben. Und nun womöglich Philipp. Wenn Johannes’ Flüche etwas taugten, dann würde sie, Salome, als seine Mörderin gewiss ein furchtbares Schicksal erleiden, denn den Gerüchten nach sollte er sie, Herodias und Antipas noch in seinem letzten Atemzug, bevor man ihm den Kopf abschlug, neuerlich verdammt und binnen eines Jahres mit Gottes Feuergericht bedroht haben.
Irgendwann dröhnte ihr Kopf, sie wurde müde und wollte schlafen. Sie schleppte sich in ihr Gemach, und dort angekommen, warf sie sich, so wie sie war, auf ihr breites Bett. Das Licht des Dreiviertelmondes fiel breit durch die großen, säulengerahmten Fenster, und der leichte Nachtwind brachte den Duft der Obstplantagen vom Ostufer des Sees
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