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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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er ist ein wahrer Jude, mehr als die meisten in diesem Land, und tausendmal mehr als du. Gerade das ist ja sein Verhängnis.«
     
    Salomes sonnige Laune trübte sich nach der Begegnung mit Philipp und Nathan zwar ein wenig ein, verdunkelte allerdings nicht vollständig. Schon als Kind hatte sie sich gewünscht, Königin in Judäa zu werden. Vielleicht war damals wie heute auch ein Funken persönlicher Ehrgeiz und Eitelkeit dabei gewesen, aber ihr war es immer auch um mehr gegangen.
    Judäa lebte im Grunde noch in der fernen Vergangenheit. Es trauerte den Zeiten Davids und Salomons nach und klammerte sich an die Worte von Propheten, die vor tausend Jahren gesprochen worden waren. Das Streben vieler Juden, die ganze Kraft, konzentrierte sich darauf, diese Zeiten lebendig zu erhalten oder wiedererstehen zu lassen. In Kürze würden die Juden den Beginn des Jahres 3794 nach Erschaffung der Welt begehen, doch im Grunde dachten und handelten sie nicht anders als im Jahr 2794. Das Volk wollte nicht wahrhaben, dass die Welt sich verändert hatte. Sie war größer geworden. Sie gehorchte nicht mehr den Regeln des letzten Jahrtausends. Babylon, Assyrien, Ägypten, Hellas – die alten Feinde waren längst untergegangen. Ein neues Imperium war erstanden, größer als alle zuvor – und anders als alle zuvor. Es wollte Judäa nicht brutal unterjochen, es wollte seine Städte und Dörfer nicht besetzt halten, seine Heiligtümer nicht schänden, seine Reichtümer nicht rauben, seine Menschen nicht versklaven, seinen Gott nicht absetzen. Das Einzige, was dieses Imperium wollte, war, von den Juden als Hoheit anerkannt zu werden, als dominierende Schutzmacht der Region. Diesen Anspruch würde es behalten – und durchsetzen, so oder so.
    Salome wollte Brücken zu diesem Imperium bauen. Sie wollte Judäa näher an Rom heranführen, es gleichsam von Rom adoptieren lassen. Die Juden sollten ihre Identität behalten, aber ihre vorgestrigen Denkweisen nach und nach ablegen, sie sollten prüfen, welche ihrer Gesetze und Traditionen nicht mehr in die neue Zeit passten und welche fester Bestandteil der jüdischen Kultur bleiben mussten. War es denn gleich Verrat, wenn man Städte nach griechischem Vorbild baute? Wenn man Münzen mit Abbildungen prägte? Wenn man den Römern Hilfstruppen stellte und der König dem römischen Kaiser Huldigungsadressen schickte? Wenn man die Steinigung abschaffte? Wenn man eigene Speerwerfer, Hochspringer, Läufer und Ringer zu Wettkämpfen nach Olympia, Sparta oder Verona entsandte? Judäa durfte sich nicht länger isolieren, es musste sich der Welt öffnen. Diesen Prozess zu beginnen, dafür waren Philipp und sie genau die Richtigen.
    Salome hatte das Bedürfnis zu feiern. Zugegeben, nicht alle Probleme waren mit der Entscheidung des Prokurators gelöst, sie würde auch weiterhin mit den Folgen des Tanzes und der Hinrichtung des Täufers zu kämpfen haben. Und viele Schwierigkeiten stünden ihr erst noch bevor. Doch ein Anfang war gemacht, und vor Verantwortung hatte sie sich noch nie gescheut, im Gegenteil. Voller Spannung sah sie der Zukunft entgegen.
    Als sie in Timons Gemach eintrat, schlief er bereits. Auf Zehenspitzen schlich sie sich durch das Dunkel, zog sich aus und legte sich neben ihm auf das Bett. Die Nacht war warm und feucht, und vom See Genezareth wehte kein einziges Lüftchen heran. Salome nahm sich eine Hand voll des bereitgestellten Wassers aus der Schale und benetzte sich damit Brust, Bauch und Gesicht. Sie dachte an die Nachmittage mit Timon, damals am Strand von Ashdod. Er hatte sie einmal nass gespritzt, als er seine Haare lachend geschüttelt hatte. An diesem Tag hatte er ihr sein erstes Geschenk gemacht, eine Zeichnung, und am selben Tag hatte sie sich in ihn verliebt.
    Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie an jene Zeit zurückdachte. Einer übermütigen Laune folgend spritzte sie einige Tropfen des Wassers auf Timons Rücken, dann weitere, schließlich nahm sie die Tonschale und kippte ihren Inhalt über Timons Gesicht.
    Erschrocken fuhr er hoch. Sie kicherte.
    »Was, bei Hera …«, fluchte er, bevor er die Situation begriff. »Warum hast du das getan?«
    Sie zuckte dreist mit den Schultern. »Ich wollte dich wecken.«
    »Das hättest du auch trockener machen können.«
    »Ja«, erwiderte sie. »Aber mir war eben nach nass zumute.«
    »Weißt du, genau das ist ja das Problem, dass du immer das tust, wonach dir gerade zumute ist.«
    Timons missgelaunte Worte, mehr noch sein

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