Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Tonfall, ernüchterten Salome schnell. »Ich wusste nicht, dass das ein Problem für dich ist.«
»Seit einiger Zeit ist es das, ja«, stellte er klar. Er rieb sich rasch die Tropfen aus dem Haar, wandte sich von ihr ab und legte sich wieder hin.
Nicht selten verliefen ihre Gespräche so, seit sie wieder in Bethsaida waren. Timon war häufig mürrisch. Jede Geste, jedes Wort, jede gut gemeinte Tat von ihr konnte er zum Anlass nehmen, sie zu kritisieren; es kam ihr fast vor, als suche er geradezu nach Vorwänden, um seine schlechte Laune über sie auszukippen. Selbst wenn sie ihn verwöhnte, ihm Aufmerksamkeiten zukommen ließ und jeden Konflikt sorgsam vermied, so dass ihm ein Vorwand fehlte, ließ er sich nur widerwillig auf ihre Bemühungen ein. Wenn sie ihn küsste, erwiderte er den Kuss nur halbherzig. Seine Umarmungen waren längst nicht mehr so kraftvoll wie die früherer Tage, seine Blicke erreichten nie wieder diese Intensität. Auch kam er auf die merkwürdigsten Einfälle. So hatte er sich, zum Beispiel, die schulterlangen blonden Haare, die sie so schön gefunden hatte, kurz scheren lassen. Und ein indischer Kaufmann, der die Kunst des Hautstechens beherrschte, hatte ihm auf seinen Wunsch hin eine Art blaugraues Ornament in den Oberarm graviert. Timon war nicht mehr derselbe wie noch vor zwei Monaten, vor Masada.
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass Philipp zum König ernannt wird.«
Einige Atemzüge vergingen, ehe Timon sie durch die Dunkelheit ansah. »Dann hast du es also geschafft, ja?«
»Ja«, erwiderte sie freudig. »Wir gehen nach Jerusalem, du und ich.«
»Mein Platz ist in Philippi.«
»Philippi ist bald fertig. Dem neuesten Bericht von Kallisthenes nach kommen die Arbeiten schneller voran als erwartet. Schon im nächsten Frühling könnten wir die Stadt einweihen.«
»Ich weiß noch nicht, was ich danach machen werde.«
»Weiterbauen, natürlich. Die heilige Stadt braucht eine neue Wasserversorgung. In Jerusalem leben außerdem viele Griechen, wie du weißt. Dort wirst du Freunde finden, Timon. Es wird herrlich werden.«
»So, glaubst du?«
Er wollte sich wieder abwenden, aber diesmal sah Salome ihm nicht tatenlos dabei zu; schon zu lange hatte sie das Gefühl, dass Timon ihr entglitt. Sie umarmte ihn, legte sich auf ihn, küsste seine Lippen langsam und sinnlich. Ihre Hände waren überall, strichen über seinen Körper, über seine Narben, fuhren durch seine Haare, drückten ihn nieder und hielten ihn fest. Anfangs ließ er sich kaum darauf ein, doch nach einer Weile riss ihn seine Erregung mit. Die Stunden, die nun folgten, waren für Salome die leidenschaftlichsten, die sie je mit Timon erlebt hatte. Seine Berührungen waren fester, seine Küsse ungestümer denn je. War er früher zärtlich mit ihr umgegangen, weich und fast vorsichtig, packte er nun zu wie ein Eroberer. Er bestimmte in dieser Nacht allein, was passierte. Er brachte Salome an die Grenze dessen, was sie bisher mit ihm erlebt hatte, und überschritt diese Grenze. Als er auf ihr lag, funkelte er sie in einem Ausdruck von Macht und Lust an, biss die Zähne zusammen und hielt ihre Arme so fest umklammert, dass sie beinahe vor Schmerz aufschrie. Er merkte es, und in diesem Moment ließ er plötzlich von ihr ab. So schliefen sie nebeneinander ein.
Am nächsten Morgen erwachte Salome mit leichten Schmerzen an ihren Handgelenken. Eigentlich tat ihr ganzer Körper weh, doch sie achtete nicht weiter darauf. Timon war schon wach und zog sich gerade eine Tunika über den Kopf.
Der Anblick gefiel ihr, und mit einem Mal fand sie sogar seine kurzen Haare passend und auch verführerisch. »Wohin gehst du?«
Er zog sich weiter an, ohne sie anzusehen. »Nach draußen.«
»Um was zu tun?«
»Reiten.«
Sie lachte. »Reiten? Man sollte meinen, dass du nach dieser Nacht …«
Er drehte sich blitzartig um. »Sag es nicht«, bat er. »Diese Nacht war ein Fehler.«
Sie stand auf und umarmte Timon von hinten. »Nein, das war sie nicht. Wir sind weiter gegangen als früher. Na und? Es wird schon nichts passiert sein.«
Er lachte verächtlich auf. »Da ist er wieder, der Hochmut, mit dem du alles beiseite schiebst. Fast beneide ich dich darum, wie leicht du über Geschehenes hinweggehst, als sei nichts passiert. Aber nur fast. Im Grunde ist sie mir unheimlich, diese Ignoranz. Sogar unangenehm.«
Ihre Augen glitzerten. »Oh, plötzlich ist sie dir also unangenehm. Als ich alles daransetzte, dich wiederzufinden, obwohl keiner
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