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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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liegt falsch. Es könnte sein, dass ich …« Er sah Efraim an und sprach leiser weiter. »Dass ich nicht beider Leben retten kann.«
    In einem solchen Fall war die Entscheidung im Grunde schon getroffen. Die Erhaltung bestehenden Lebens galt im jüdischen Glauben als oberstes Prinzip, und bei einer schweren Geburt war die Tötung des Kindes ausdrücklich erlaubt und durch die heiligen Schriften gedeckt.
    »Wir dürfen kein Risiko eingehen«, sagte Rabban Efraim.
    »Nein«, schrie Salome. Ihr Gesicht war rot, und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. »Nein, das will ich nicht. Rettet das Kind, ich bitte euch. Es ist … sein Kind. Es muss leben. Es muss …«
    Sie verlor das Bewusstsein.
    »Was sollen wir nun tun?«, fragte der Arzt.
    »Du hast es gehört«, mischte Berenike sich ein. »Sie möchte, dass das Kind lebt, Glauben hin oder her.«
    »Mir ist nicht erlaubt …«
    »Es geht hier um den Willen der Mutter«, unterbrach ihn Berenike mit Tränen in den Augen. »Wenn sie ihr eigenes Leben geben will, um das des Kindes zu retten, so ist das allein ihre Entscheidung.«
    »Es ist auch meine«, erwiderte der Arzt. »Denn ich bin es, der dieses Leben auf sich nimmt.«
    Efraim hatte zwischenzeitlich das Für und Wider abgewogen. Nun legte er dem Arzt die Hand auf die Schulter und sagte: »Es ist Gott allein, der Leben nimmt und gibt. Überlassen wir ihm die Entscheidung.«
    »Und wenn beide sterben?«
    »Leite die Geburt ein«, riet Efraim. »Alles andere geschieht, wie es geschehen muss.«

24
    Eine Woche später hatte der Frühling Rom mit seinen Farben überzogen. Sogar die sonst stinkende Stadt kam nicht gegen die weißen und rosaroten Obstblüten an, die von Palatin, Esquilin und Pincius Ströme von Düften durch die Gassen schickten. Die rauen Winde des Winters waren milder Seeluft gewichen, die Erde war warm und fruchtbar, überall kämpften sich Blumen durch die Erde und wilde Kräuter durch die Ritzen der Mauersteine ans Sonnenlicht. Nie hätte Rom schöner und angenehmer sein können als in diesen letzten Apriltagen.
    Doch die Hauptstadt feierte die Floralien, das Fest zu Ehren der Blumengöttin Flora. Was ursprünglich eine reizvolle Begrüßung der Blütenpracht war, begangen mit Ausflügen in die Campagna und mit feinen Speisen, war im Laufe der letzten Jahrzehnte zu einem wüsten Treiben verkommen. Trunkene stolperten durch die Straßen, nackte Hetären ließen sich zum Vergnügen aller anfassen, Vermummte fielen über jede Frau her, die ihnen zu nahe kam, und Ziegen und Hasen wurden unter Gelächter der Massen zu Tode gehetzt. Messerstechereien, erbrechende Menschen, ineinander verschränkte Leiber – jede Ecke und jeder Winkel wurden ausgenutzt, um sich auszutoben.
    Der Lärm dröhnte auch über die Mauer in Salomes kleinen Garten, in dem die damaszenischen Rosen an diesem Tag ihre ersten tiefroten Blüten öffneten. Als Berenike den Garten betrat, saß Salome noch immer auf der Marmorbank inmitten der erblühenden Pracht. Sie legte ihrer Freundin einen wärmenden Umhang über die Schultern und setzte sich neben sie.
    Unglaublich, dachte Berenike, wie schnell Salome sich erholt hatte. Vor drei Tagen noch waren ihre Augen von dunklen Schatten umrandet gewesen, ihre Haut ungewöhnlich blass und der Atem flach, fast zerbrechlich. Doch nun waren fast alle Anzeichen der schweren Geburt verschwunden, besiegt vom Glück einer jungen Mutter; übrig geblieben war nur noch eine leichte Erschöpfung.
    »Schläft er?«, fragte Salome.
    Berenike lächelte. »Ja, endlich. Er ist ein unruhiger kleiner Bursche, zäh wie seine Mutter.«
    »Und wie sein Vater«, ergänzte Salome. »Diese Zähigkeit hat uns das Leben gerettet.«
    Berenike wusste, wie nahe beide dem Tod gewesen waren. Der Arzt hatte Stunden um den Jungen und die Mutter gerungen, unterstützt von ihr, Rabban Efraim und der chasan . Vor der Synagoge hatte sich die Gemeinde versammelt und gebetet, und als die Nachricht kam, alles sei gut überstanden, waren die Menschen in Jauchzen und Jubel ausgebrochen. Seither war der Strom der Geschenke nicht abgerissen: die Weberinnen schickten Decken für die Wiege, die Bäcker Mohnkuchen, der Goldschmied einen dünnen Ring in Erinnerung an den frohen Tag, die Töpferinnen eine Amphore mit Mandelöl …
    »Da fällt mir ein«, erinnerte sich Berenike, »der Parfümier hat vorhin eine Salbe abgegeben, die wie ein Zitrushain duftet und zur Säuglingspflege verwendet werden kann. Die Anteilnahme ist

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