Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
die klaren Augen schossen. »Das ist die ungewöhnlichste Begrüßung, die ich je erlebt habe«, sagte er und musste erneut lachen. Beinahe hätte sie in das Gelächter eingestimmt, aber ihr Misstrauen überwog.
»Was gibt es denn da zu lachen?«, fragte sie.
Er tupfte sich die Tränen aus den Augen und sagte: »Köstlich, wirklich köstlich. Die meisten Menschen meiner Gemeinde treten mir immens ehrfürchtig entgegen, wie einem Weisen. Ich möchte das überhaupt nicht. Wenn man jedoch alt ist und einen langen grauen Bart hat, bekommt man nun einmal eine bestimmte Prägung von den Menschen aufgedrückt. Hübschen Frauen geht das übrigens nicht anders, wie du sicher weißt.«
Sein Verhalten irritierte sie, daher sagte sie zunächst gar nichts. »Ja, ich weiß, wer du bist«, bestätigte er. »Andererseits weiß ich es auch wieder nicht. Gerede und Gerüchte schaffen es manchmal, aus einem Menschen drei zu machen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Unter seinem Bart zeichnete sich ein Lächeln ab, und seine Augen ruhten sanft auf ihr. »Du weißt nicht viel über die Juden in Rom, nicht wahr?«
Sie wusste überhaupt nichts über die Juden in Rom, oder generell über die Juden in der Diaspora. In Judäa wurden sie nur galuths genannt, die Zerstreuten, das griechische Wort dafür war diaspores . Und tatsächlich lebten sie zerstreut über das ganze Imperium, in Syrien, Africa, Griechenland, Rom, manche auch außerhalb des Reiches in Persien oder Arabien. Bei den Juden im Heiligen Land waren die galuths nicht hoch angesehen.
Efraim deutete ihr Schweigen richtig. »Das ist nicht weiter schlimm. Wir sind es gewöhnt, Vergessene zu sein, und ein wenig genießen wir diesen Status sogar. Warum kommst du nicht einfach zum nächsten shabbat in unsere schöne Synagoge im vierzehnten Bezirk und lernst uns kennen? Wir würden uns freuen.«
»Das bezweifle ich.«
Efraim schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich kann nicht für alle römischen Juden sprechen, aber meine Gemeinde im vierzehnten Bezirk wird dich mit offenen Armen empfangen. Du bist nun eine von uns, ebenso wie schon bald dein Kind.«
»Siehst du, Rabban «, sagte sie, »genau das ist der Irrtum.«
Berenikes überraschendes Eintreffen in Rom war für Salome das Beste, was ihr passieren konnte. Berenike war ein bekanntes Gesicht in der Fremde, denn obwohl Salome sowohl von Antonia wie auch von Agrippa freundlich aufgenommen worden war, konnte sie doch weder zur einen noch zum anderen eine vertraute Beziehung aufbauen. Die Julierin konnte ganze Nachmittage hindurch über die Übel der Zeit lamentieren, und das kostete Salome ebenso viel Nerven wie das seichte, alberne Geplapper ihres Onkels. Mit Berenike hingegen war eine Freundin aus längst vergangenen Tagen zurückgekehrt.
Mit ihr konnte Salome viele wunderbare Gespräche führen, denn sie teilten gemeinsame Erinnerungen. Die Kindertage im Herodespalast wurden wieder lebendig, die Spiele an den Teichen, die Ausflüge der Familie zu den Schafherden auf dem Hügel Garebs und in die Haine von Hebron, wo Gott mit Abraham den Bund eingegangen war, oder in die Gärten von Jericho, wo Herodes künstliche Wasserkaskaden angelegt hatte. Auch die ersten Jahre in Ashdod zogen noch einmal an ihnen vorüber, ihre ersten schwärmerischen Gefühle, das Auftauchen Timons. Es tat Salome gut, diese Zeit zusammen mit jemandem heraufzubeschwören, der sie selbst miterlebt hatte.
Auf den ersten Blick schien ihre Freundin kaum verändert. Sie war fröhlich und hübsch und beides so sehr, dass Agrippa sich einige Tage lang auffällig bemühte, sie in seinen Kreis von Spaßvögeln zu ziehen. Doch sogar er merkte schnell, dass Berenike nicht die war, die sie zu sein schien. Auf Stunden der Heiterkeit folgten bei ihr nicht selten Stunden melancholischer Nachdenklichkeit, und Agrippa wollte wohl nicht das Risiko eingehen, Berenike zu einer Gesellschaft oder einem Landausflug mitzunehmen und seinen Freunden dann einen Trauerkloß zuzumuten. Für Salome freilich waren die Anzeichen des wahren Gemütszustands ihrer Freundin noch deutlicher: Berenike vermied es, über Kephallion zu sprechen, und selbst in den Phasen ungezwungener Fröhlichkeit blieben ihre Augen seltsam erloschen. An einem Nachmittag jedoch brach alles aus Berenike hervor, und sie erzählte Salome von den Verbrechen und Grausamkeiten Kephallions, den Schlägen, Beleidigungen und Erniedrigungen, die er ihr zugefügt hatte, und von seiner Unfähigkeit, Kinder zu zeugen,
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