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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Geboten, doch bei Agrippa ist es etwas anderes. Nicht simple Achtlosigkeit oder harmlose Vergnügung steckt bei ihm dahinter. Ich spüre Mordlust in ihm.«
    »Efraim!«
    »Doch, doch. In Rom hat er fast keinen Tag verstreichen lassen, ohne Gladiatorenkämpfe oder Tierhetzen zu besuchen.« Efraim holte tief Luft und dämpfte seine Stimme. »Eigentlich wollte ich ja nicht über Agrippa sprechen. Als ich vorhin sagte, dass unsere Brüder und Schwestern hier jemand anderen hätten, der sie gut betreuen würde, meinte ich damit dich.«
    »Mich? Das ist ja absurd. Ich könnte dich niemals ersetzen, Efraim.«
    »Merkst du nicht, wie die Leute zu dir aufblicken? Du bist eine Prinzessin, aber du hast sie vom ersten Tag an wie Freunde behandelt. Du hast fortschrittliche Ideen, von denen die meisten unserer Heimat gut tun würden, und das spüren die Menschen hier. Du besitzt etwas, Salome, das man nicht kaufen und nicht verkaufen kann: Würde.«
    Efraims Worte waren für Salome wie Honig, sie taten gut. Wann hatte je irgendjemand so mit ihr gesprochen! »Dein Lob ehrt mich. Vermutlich weißt du nicht, was damals in Judäa vorgefallen ist.«
    Er machte ein Zeichen, dass sie nicht weiterreden müsse. Natürlich hatte jemand wie Rabban Efraim seine Quellen, die ihm einiges über Salome berichten konnten.
    »Ich spreche nicht von Sitte, sondern von Würde, mein Kind. Ich heiße nicht alles gut, was du damals getan hast – du selbst vermutlich auch nicht. Deiner Persönlichkeit jedoch haben die Fehler, die du gemacht hast, nicht geschadet, im Gegenteil, sie haben dich weitergebracht, weil du sie erkannt hast. Und das ist eine Eigenschaft, die nur wenige Menschen besitzen, ich möchte beinahe sagen, die wichtigste Eigenschaft überhaupt.«
    Sie waren in der Kelter angekommen, wo es von Arbeitern nur so wimmelte. In großen Fässern gärte bereits der erste Most und musste ständig umgerührt werden. Im torcularium , dem Pressraum, übergab Salome einem Arbeiter ihren Korb voller Trauben, der sie zum Stampfen in einen riesigen Trog kippte. Er bot ihnen zwei Becher des Mostes an, den sie kosteten, indem sie etwas Brot hineintunkten.
    »In Judäa«, knüpfte Salome wieder an das Gespräch an, »würden nicht viele deine Meinung über mich teilen.«
    »Und welche Meinung hast du über die Juden in unserer Heimat?«
    Salome hatte das Thema Judäa in ihren Jahren in Rom stets gemieden, denn die jüdische Gemeinde war in dieser Frage seltsam gespalten. Einerseits hieß die Diaspora viele der Entwicklungen in der Heimat nicht gut, vor allem die übertrieben strengen Auslegungen der thora , andererseits hielt man dem Volk die Treue und übte, wenn überhaupt, nur sehr verhaltene Kritik.
    »Darüber möchte ich lieber nicht reden.«
    »Warum? Vertraust du mir nicht?«
    »Doch, natürlich.«
    »Also dann, sprich offen.«
    »In Judäa gibt es nur noch Zwietracht und Hass«, brachte sie ihre Ansicht auf den Punkt. »Die Pharisäer und die Zeloten ziehen Menschen in ihre Ideologie hinein und benutzen sie für ihre jeweiligen Zwecke, die einen, um einen absoluten Priesterstaat mit Tausenden von Geboten zu errichten, die anderen, um das vermeintlich Böse zu besiegen. In Wahrheit geht es ihnen nur um Macht, den einen wie den anderen.«
    Rabban Efraim nickte und gab Salome ein Zeichen, dass es besser wäre, das Gespräch im Freien weiterzuführen, denn im torcularium herrschte ein permanentes Kommen und Gehen jüdischer Arbeiter. Sie spazierten über die mit weißen und gelben Blumen gesprenkelte Wiese in Richtung des Hauses.
    »Mein Kind, unsere Glaubensbrüder in Judäa haben sich in etwas eingeschlossen. Weißt du, was ich damit meine? Manche Menschen schließen sich in die Kunst ein und leben nur für ihre Gedichte oder Skulpturen. Andere schließen sich in ihre Kinder ein, wieder andere in den Wunsch nach Reichtum oder Macht. Die Juden Judäas – zumindest nicht wenige von ihnen – haben sich in den Glauben eingeschlossen. Sie stehen mit dem Glauben auf, sie denken während des Essens daran, auf dem Weg zur Arbeit, während der Arbeit, wenn sie wieder nach Hause kommen, wenn sie vor dem Feuer sitzen und sogar, wenn sie träumen. Nicht, dass ich etwas gegen den Glauben hätte …«
    Er lachte und kraulte seinen Bart. »Für einen Rabbiner wäre das eine befremdliche Einstellung. Aber Gott hat gewiss nicht gewollt, dass wir unentwegt an ihn denken, selbst in den intimsten Momenten unseres Daseins. Wir Menschen brauchen Genuss, wir brauchen

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