Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
Vielfalt. Leben wir nur für eine Sache und füllt uns diese Sache völlig aus, dann kontrolliert sie bald unser Herz, unseren Verstand, unseren Lebensatem. Sie beherrscht uns, sie verselbständigt sich, sie macht uns blind für andere Schönheiten. Leider, leider ist genau das im Gelobten Land passiert: Der Glauben hat sich verselbständigt.«
    Salome konnte sich dieser überzeugenden Einschätzung nur anschließen und fühlte sich in ihrer Meinung bestätigt. Doch Efraim war noch nicht fertig.
    »Je unsicherer die Menschen sind«, führte er weiter aus, »desto mehr Propheten treten auf. Sie versprechen all das, wonach Menschen sich sehnen, sie geben den Verunsicherten Sicherheit, den Jungen Hoffnung, den Alten ein Leben nach dem Tod und den Durstigen Wasser.«
    »Fauliges Wasser«, wandte Salome ein.
    »Wohl wahr. Doch ein Verdurstender wird auch fauliges Wasser trinken, wenn er nichts anderes zur Verfügung hat. Reicht man ihm hingegen eine Schale frischen Wassers als Alternative zum fauligen … Judäa braucht ein neues Leuchtfeuer, das die Verirrten um sich schart. Es braucht einen Menschen mit Ideen, jemanden, der die Tradition und die neue Zeit miteinander versöhnt.«
    Er kraulte seinen Bart. »Womit ich wieder zu dir komme.«
    Salome sog die schwüle, spätsommerliche Luft ein. »Du weißt nicht, was du da sagst.«
    »Ich muss doch sehr bitten«, lächelte er. »Senil bin ich noch nicht.«
    »Ich gebe zu, früher habe ich davon geträumt, das Leuchtfeuer Judäas zu sein. Doch die Realität hat mich aufgeweckt. Ich wäre nie imstande …«
    Salome kam nicht weiter, denn ein Reiter preschte auf seinem Rappen über die Wiese heran, stoppte abrupt vor ihnen und sprang schwungvoll ab. Er war ein hoch gewachsener Mann in Salomes Alter, glatt rasiert und stattlich wie ein Römer. Seine Uniform allerdings war nicht römisch, und seine Haut hatte die gleiche nussbraune Farbe wie die von Salome.
    »Verzeiht«, stöhnte er erschöpft und in gebrochenem Latein, »ich suche dringend Agrippa. Niemand weiß, wo er steckt.«
    »Er ist ausgeritten.« Salome blickte dem Fremden in die großen, braunen Augen, die so sanft wirkten und gar nicht zu seiner kriegerischen Aufmachung passten. »Wer bist du?«, fragte sie, obwohl ihre erste Frage zunächst dem Grund seiner Eile hätte gelten müssen. Doch sie war zu neugierig, wer sich hinter diesen Augen verbarg.
    »Ich bin ein Jugendfreund von Agrippa. Aristobul ist mein Name. Ich bin … ich meine, ich war …«
    »Nun?«, fragte sie schmunzelnd. Ihr gefiel es, den atemlosen Mann zu verunsichern. »Was bist oder warst du?«
    »Prinz von Armenien.«
    »Du warst Prinz von Armenien?« Sie lachte so kokett wie schon lange nicht mehr. »Und was bist du jetzt?«
    Er sah ihr in die Augen: »Mein Vater, der König von Armenien, ist vor wenigen Tagen in Caligulas Auftrag ermordet worden.«
    Auf der Stelle wurde Salome ernst, und sie schämte sich, so frech gewesen zu sein. »Das tut mir Leid. Ich wusste ja nicht …«
    »Schon gut.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann besann er sich wieder seines Anliegens: »Deswegen will ich allerdings nicht zu Agrippa. Ihr beide seid Juden?«
    »Gewiss«, bestätigte Efraim. »Ich bin ein Rabban, und dies hier ist Salome, Prinzessin von Judäa und Agrippas Nichte.«
    Salome wurde wieder bewusst, dass sie wie eine Magd herumlief, mit schmutzigem Gewand, roten Fingern und Haaren, die wirr unter einem alten, zerrupften Strohhut hervorstanden. Über Aristobuls feine Lippen flog ein amüsiertes Lächeln, bevor er wieder ernst wurde.
    »Ich fürchte«, sagte er, »dass ich schlimme Neuigkeiten für euch habe.«
     
    Das Licht der zahlreichen Fackeln erhellte den Garten und schimmerte schwach bis zu dem abgelegenen Winkel, in den Salome, Efraim, Agrippa und Aristobul sich zurückgezogen hatten. Im vorderen Teil des Gartens nahmen die Gäste gerade die cena ein, das große Abendmahl. Zwei Ferkel brieten am Spieß, Sklaven tischten gewürzten Kürbisbrei, Oliven und Trockenfrüchte auf, Gilead und Agrippinos schürten das Feuer und brieten Äpfel in der Glut. Die Leute waren munter wie selten, denn die Arbeit im Weingarten hatte ihnen Freude und auch Appetit gemacht. Vor allem die Anekdoten, die Claudius vom Leben der kaiserlichen Familie unter Augustus erzählte, brachten alle zum Lachen.
    Sie wussten noch nicht, was die vier wussten. Agrippa war erst vor kurzem von seinem Ausritt zurückgekehrt, und Aristobul wiederholte ihm im Einzelnen, was er

Weitere Kostenlose Bücher