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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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ihre Haare nicht grau und Stirn und Wangen nicht voller Falten. »Du bist wunderbar lustig, meine Kleine, ja wirklich. Gott benutzen, das ist die einfachste Übung von allen. Dazu braucht es nicht mal Verstand. Außerdem schreibe ich diesen Brief, weil die jüdische Bevölkerung es nicht gerne sieht, wenn man als Bittsteller nach Rom reist. Davon kommt ihr stolzes Blut in Wallung. Von einem Brief dagegen bekommt keiner etwas mit.«
    Das leuchtete Salome ein, nur verstand sie nicht, weshalb die anderen nicht so klug wie ihre Großtante waren. »Ich möchte Unterricht, Großtante, denn eines Tages will ich so werden wie du.«
    »Sehr schmeichelhaft. Aber ich bekam nie einen normalen Unterricht, denn Wissen bedeutet, stark zu sein, und nichts genießen die Männer mehr als ihre Stärke und die Macht über Frauen. Sie fürchten, jemand könnte den Unsinn, den sie predigen, und die unvernünftige Halsstarrigkeit, mit der sie sich gegenseitig das Leben schwer machen, irgendwann erkennen. Die geistlichen Gelehrten haben nicht zugelassen, dass ich ebenso viel wissen durfte wie sie, denn sie wollten verhindern, dass ich Einfluss auf meinen Bruder nehmen könnte. Das war sehr dumm von ihnen. Ich habe mich nämlich nicht unterkriegen lassen und andere Wege gesucht, um wenigstens ein Stückchen Macht zu bekommen. Ich habe angefangen, die Menschen durch Beobachtung zu studieren, habe ihre vordergründigen Verhaltensweisen und verborgenen Gesten, ihre Intrigen und ihre Sehnsüchte erforscht. Schon bald vermochte ich, Schwächen zu erkennen und auszunutzen. Die Welt ist voller Schwächen, weißt du? Es gibt praktisch keine Eigenschaft, die ich mir nicht zu Diensten machen kann: Geldgier, Ruhmsucht und Eitelkeit, Liebe, Leidenschaft und Mitleid, Glaubenseifer, Freundschaft, Rachsucht, Neid, Gerechtigkeitssinn, Stolz, Fürsorge … Jeder hat eine Schwäche, einen Punkt, an dem man ihn packen kann. Deinem Vater, zum Beispiel, habe ich ein Amt gegeben, in dem er endlich seinem Volk dienen kann – als Marktherr. Nur auf diese Weise gelang es mir, ihn davon zu überzeugen, an den Hof einer Frau zu kommen. Er glaubt, ich halte viel von ihm, doch im Grunde ist er ein Esel. Nur deinetwegen gab ich ihm einen Posten.«
    Salome bemühte sich, keines der Worte zu vergessen. Endlich bekam sie einen ersten Einblick in die Welt der Wissenden. Und wie spannend diese Welt war, mindestens ebenso spannend wie all das Neue in ihrem Leben, die Landschaften und Leute, denen sie begegnet war. Jetzt, in dieser Sänfte, hörte sie erstmals von den Geheimnissen der Mächtigen.
    Sie spann die Worte ihrer Großtante im Stillen weiter und wendete sie auf die Menschen an, die sie kannte. »Dann war die Schwäche meines Großvaters wohl die Angst.«
    Die Augen der Alten flackerten kurz auf. »Ich staune«, sagte sie. »Nicht viele Menschen deines Alters hätten das so klar erkannt. Ja, Herodes ängstigte die Vorstellung, eine Verschwörung könnte ihn stürzen. Da er selbst die vor ihm herrschende Dynastie gewaltsam beseitigt hatte, lebte er ständig in der Furcht, ihm könnte dasselbe widerfahren. Anfangs bezwang er diese Angst, indem er sich in ein Projekt nach dem anderen stürzte: die Haine, der Tempel, die Gründung neuer Städte … Doch so sehr er sich auch mühte, es gab immer einzelne Widerständler im Volk, die ihm seine Morde übel nahmen, und diese wenigen reichten aus, um die Angst wach zu halten. Zeitweise litt er unter entsetzlichen Albträumen. Er errichtete ein Spitzelwesen, sicherte sich das Bündnis mit dem Imperium, schickte Söhne in die Obhut des Augustus, nahm einen zunehmend römischen Lebensstil an, flüchtete sich in die Arme von Sternendeutern und sonstigen Scharlatanen und brachte damit natürlich nur noch mehr Juden gegen sich auf, die er wiederum nur durch noch mehr Unterdrückung und Überwachung kontrollieren konnte. Weil er selbst so viel Angst hatte, wollte er, dass alle Angst hatten. Es war eine Spirale ohne Ende. Du hast ja gesehen, was aus ihm geworden ist.«
    »Du hast dich nicht vor ihm gefürchtet, oder?«
    Ihre Großtante schüttelte sacht den Kopf. »Dazu hatte ich keinen Grund. Ich sagte ja, ich kannte seine Schwächen, und ich bediente mich ihrer. Du siehst, meine Kleine, die Menge des Wissens ist nicht entscheidend. Eine kleine Auswahl davon genügt, um die Ziele zu erreichen, die man sich gesetzt hat.«
    Plötzlich wandelte sich ihr Blick. Forschend sah sie Salome an. »Und du?«, fragte sie. »Wir haben noch gar

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