Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
nicht über dich gesprochen. Welche Wünsche hegt meine Kleine?«
Salome überlegte einen Moment. »Wenn ich dir das sage, kennst du meine Schwäche.«
Die Alte stutzte kurz, als habe sie mit allem, nicht jedoch mit dieser vorwitzigen Antwort gerechnet. Dann lächelte sie Salome an und streichelte ihr über die Haare. »Gut«, sagte sie, »dann machen wir ein Spiel. Ich werde erraten, welches deine Wünsche sind.«
Salome war begeistert. Endlich einmal ein Spiel, bei dem sie im Mittelpunkt stand. »Oh ja«, rief sie mit leuchtenden Augen.
Die Alte leckte sich die Lippen. »Du wünschst dir, klug zu werden, nicht wahr?«
»Das war ja leicht zu erraten, Großtante.«
»Stimmt. Möchtest du schön werden?«
Salome überlegte. »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht ja, aber nicht so wie Berenike. Oh, sie ist hübsch. Manchmal wünsche ich mir ihre weiche Haut. Aber irgendwie« – sie suchte nach dem richtigen Wort – »irgendwie passt ihre Schönheit nicht zu mir.«
»Eines Tages wirst du dir wünschen, schön zu sein, glaub mir.«
Salome zuckte mit den Schultern. »Andere Dinge sind mir wichtiger. Weißt du, Großtante, eines Tages möchte ich Königin werden.«
Salome bemerkte, wie ihre Großtante kurz zusammenzuckte, so wie vorhin, als sie den Brief in die Hand genommen hatte. »Jawohl, Königin«, bekräftigte sie.
Die Alte sah sie mit einer Mischung aus Interesse und Verwunderung an. »Und warum willst du das?«
»Es heißt, Großvater hätte mich beinahe umgebracht, damals bei meiner Geburt. Und nun hat er uns arm gemacht. Keiner konnte gegen ihn ankommen. Außer du, Großtante. Im Vergleich zu dir war Großvater dumm. Darum möchte ich so wie du werden. Ich will allen zeigen, dass ich reich und mächtig werden kann.«
Akme streichelte ihr über die Haare. »Du musst vorsichtig sein, wem du von deinen Wünschen erzählst, meine Kleine. Du musst lernen, zu schweigen, selbst wenn dir danach zumute ist, alles in die Welt hinauszuschreien. Du musst lernen, dich zu beherrschen und dich zu verbergen. Und vor allem musst du lernen, Feinde zu erkennen und unschädlich zu machen. Wenn du wirklich einmal Königin werden willst, hast du noch einen langen, einsamen und gefährlichen Weg vor dir. Man wird dich demütigen, missbrauchen, enttäuschen und verraten. Dir werden sich Menschen entgegenstellen, von denen du das nie erwarten würdest, und selten wird dir der Dank derer zuteil, denen du helfen willst. Du wirst dich wehren müssen und dabei Mittel einsetzen, die du dir heute nicht im Traum vorstellen kannst. Nach all dem wirst du eine völlig andere Frau sein. Ich weiß, wovon ich rede.«
Salome hatte Akme mit pochendem Herzen zugehört. Sie bekam erstmals ein wenig Angst vor diesem Leben, das eben noch so aussichtsreich und verlockend schien. Sie war ihrer Großtante nicht böse wegen dieser Erklärungen, im Gegenteil, hier bei ihr fühlte sie sich sicher. Nur diese alte Frau konnte sie lehren, den Weg zu gehen, der sie zur Macht führte.
Es war eine jener Stunden, die Livia Drusilla liebte. Vom Forum Romanum drang leise das Treiben eines gewöhnlichen Arbeitstages in den Palatinischen Palast herauf, die Sonne füllte das Arbeitszimmer mit Wärme und Licht, und das Windspiel am Fenster schickte milde Töne in den Raum. Der Volturnus , der trockene Ostwind, brachte frische Gebirgsluft vom Apennin herbei, die sich angenehm mit dem Duft armenischer Rosen aus dem Palatinischen Garten vermischte. Ein Krug kühlen Wassers mit einem Schuss Rotwein stand bereit. Livia schenkte sich davon, ohne den Blick von dem Pergament zu lassen, in einen Kelch ein und trank einen kleinen Schluck. Schon nach wenigen Zeilen huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, einige Augenblicke später unterbrach ihr kurzes, helles Auflachen die gedämpfte Stimmung des Arbeitszimmers. Dieser mit fast bösartiger Ironie gewürzte Stil war einfach zu köstlich! Wie ihre Freundin den Archelaos und dessen Brüder beschrieb …
» Am besten beschreibe ich dir meine vier Neffen mit folgendem Beispiel «, stand da. » Würdest du jedem von ihnen die Aufgabe geben, während deiner Abwesenheit sieben Tage lang auf dein Haus aufzupassen, so ginge der Jüngste von ihnen, Philipp, dreimal täglich zu festgesetzten Zeiten durch das Gebäude, rüttelte brav an allen Läden, ob sie auch gut verschlossen sind, und prüfte, ob auch ja keine Fackel zu löschen vergessen worden sei. Doch wehe, etwas geschähe, dann würde er nicht wissen, was zu tun sei.
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