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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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umso flacher, grüner und blühender wurden die Gärten und Wiesen. Gleichgültig, aus welcher Richtung der Wind wehte, er brachte einen aromatischen Duft mit, den Salome noch nicht kannte und von dem ihre Mutter ihr erzählte, er komme von den Balsamhainen dieser Gegend. Derzeit befanden sie sich irgendwo zwischen Jebna und Ashdod, also bereits im Land ihrer Großtante. Und schon morgen würde man in Ashdod Einzug halten, wo angeblich ein kleines Paradies auf sie wartete, das dem von Jerusalem in nichts nachstand.
    »Was machst du da?« Von der Straße, wo der Tross Rast hielt, kam Berenike herbeigelaufen. Salomes Eltern waren nicht die Einzigen, die am Hofe von Ashdod leben würden. Auch Berenikes Eltern und einige weitere aus der Familie, die nur Geld und kein Land geerbt hatten, mussten sich entscheiden, wo sie wohnen wollten. Da Antipas unbeliebt war und Philipp eine reizlose Gegend im Nordosten des Königreiches regieren würde, blieb nur die Wahl zwischen dem kleinen Land der alten Akme und dem Kernland des Archelaos – das nach den jüngsten Ereignissen als unsicher galt.
    »Ich sammele Muscheln«, erklärte Salome.
    »Wie viele hast du?«
    »Neunundsiebzig«, antwortete sie, stolz, diese Zahl zu kennen.
    »Dort liegen noch ein paar schöne«, rief Berenike begeistert und machte einen langen Satz in den Sand. »Wenn du noch einundzwanzig sammelst, dann hast du …«
    »Nein, sag es nicht«, unterbrach Salome und kniff die Augen zu, denn um die Muscheln zu halten, konnte sie nicht die Hände auf die Ohren pressen. »Ich will die Zahl selber herausfinden.«
    Berenike dachte über den Satz nach. »Wenn ich sie dir sage, hast du sie doch selber herausgefunden.«
    »Nein, das ist zu einfach. Ich will mir etwas anderes überlegen.«
    Salome ließ Berenike stehen und stapfte zu den Sänften zurück, die im Schatten einiger Palmen abgestellt waren und deren weißer Stoff sich in der Meeresbrise blähte. In einer dieser weißen Sänften saß ihre Mutter und verbrachte die Zeit mit Dösen. Herodias hatte gewiss genug Muße, ihr zu helfen, doch Salome zog es zu der blauen Sänfte ihrer Großtante an der Spitze des Trosses. Gemeinhin diktierte Akme dort Briefe; ihre Stimme tönte jedenfalls tagein und tagaus unermüdlich wie die eines Rabban über den Tross. Im Moment jedoch war es in der Sänfte ruhig, und so schob Salome vorsichtig den Schleier zur Seite und lugte hinein.
    »Welch nette Überraschung«, begrüßte Akme sie und legte die Feder zur Seite. »Ich kann eine kurze Unterbrechung gebrauchen. Also, komm herein.«
    Salome kletterte umständlich in das Vehikel, und als sie endlich bequem darin saß, war sie schon wieder völlig außer Atem.
    »Ich habe ein großes Problem«, gab sie ernst zu, meinte jedoch nicht ihren Husten.
    Ihre Großtante lachte. Sie tat das im Allgemeinen nicht oft, nur wenn Salome bei ihr war. »Tja, davon sollte jeder eines haben, denn es regt zum Denken an, weißt du? Ich schätze, deswegen bist du auch zu mir gekommen. Weil du nachgedacht hast.«
    Salome verstand nur die Hälfte von dem, was ihre Großtante sagte; es konnte jedoch nicht schaden, ihr zuzustimmen. Ihr Blick fiel auf das Pergament, auf dem Akme geschrieben hatte, und sie nahm es in die Hand. Salome spürte, wie Akme kurz zusammenzuckte, sich dann aber wieder beruhigte, vermutlich weil sie sich daran erinnerte, dass Salome nicht lesen konnte. »Wem schreibst du?«
    »Einer alten Freundin«, erklärte Akme bereitwillig. »Ich habe ihr einen Gefallen getan und bitte sie nun ihrerseits um einen.«
    Salome konnte in der Tat nicht lesen, sie konnte allerdings bereits die aramäischen Buchstaben von griechischen und römischen unterscheiden. Ihre Großtante schrieb eindeutig einen Brief an eine Römerin. Ob es etwas damit zu tun haben mochte, dass ihre Onkel und ihr Vater sich derzeit auf dem Weg zum römischen Kaiser befanden? Doch wenn sie so direkt fragen würde, erhielte sie bestimmt keine Antwort.
    »Warum fährst du nicht nach Rom wie die anderen?«, fragte sie.
    Ihre Großtante schien kurz zu überlegen, ob sie antworten solle. »In den meisten Fällen«, erklärte sie, »ist es nicht nötig, selbst vor Ort zu sein, um etwas zu erreichen. Dafür hat Gott die anderen Menschen erschaffen.«
    »Dafür? Wirklich?«
    »Wozu sonst? Ich wäre dumm, würde ich andere nicht benutzen«, erklärte ihre Großtante und sah Salome eindringlich an.
    »Sogar Gott?«
    Akme lachte so vergnügt, als sei sie vierzig Jahre jünger, als seien

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