Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Theudion stünde die ganze Woche mit verschränkten Armen vor dem Vordereingang, ohne zu bemerken, dass hinten herum längst jemand eingedrungen war und das Haus leer geräumt hat. Antipas, der Nächstältere, würde für teures Geld eine zehnköpfige Wachmannschaft verpflichten, aber nicht, ohne es dir nach deiner Rückkehr gewiss zehnmal unter die Nase zu reiben, wie aufopfernd er war. Mit Archelaos, dem edlen Haupterben des Königreiches, ist es ganz einfach: Er würde sieben Tage lang in deinem Haus feiern bis zur Besinnungslosigkeit. Deine Möbel wären schnell dahin. «
Livia lachte erneut laut auf. Nach dieser Beschreibung sah sie die vier Herodianer geradezu vor sich, und selbstverständlich verstand sie nun auch, worauf dieser Brief hinauslief. Sie nahm das Pergament mit zum Fenster und hielt es in die Sonnenstrahlen, um den ernsteren Teil zu lesen, in dem Akme deutlich und ausgesprochen ehrlich ihre Bitte darlegte. Die Jüdin wusste, dass sie ihr gegenüber kein Blatt vor den Mund zu nehmen brauchte.
Als sie geendet hatte, ließ sie das Pergament sinken und blickte nachdenklich hinunter zum Forum, wo vor dem eben fertig gestellten Tempel des Divus Julius Caesar , des zum Gott erhobenen Großonkels und Adoptivvaters ihres Gemahls, die Priesterschaft ein Weihrauchopfer darbrachte. Mächtig stieg der Qualm des kostbaren arabischen Harzes aus der Opferschale in den Himmel und wehte, vom Volturnus getrieben, in Livias feine Nase. Sie nickte sanft. Die Entwicklung war vielversprechend. Überall in den Provinzen und sogar in den souveränen Schutzkönigreichen am Rande des Imperiums wurde nicht nur Julius Cäsar selbst, sondern auch Augustus als Sohn eines Gottes mittlerweile göttliche Verehrung zuteil. Die einfachen Menschen vom Lande kauften sich von windigen Geschäftemachern kleine Statuen mit seinem Abbild, stellten sie in ihrem Hausaltar auf und beteten jeden Abend davor. Augustus sollte sie von ihrem Rheuma kurieren, ihre Ehe retten, ihre Konkurrenten verjagen und die Rüben schneller wachsen lassen. In Rom und dem Imperium galt er als der Vater der Pax Romana, des jahrzehntelangen römischen Friedens, und damit des Wohlstandes und der Sicherheit, ja, manche nannten dieses Zeitalter sogar Pax Augusta und ehrten Augustus mit dem Titel restitutor orbis . Augustus war nach den furchtbaren Bürgerkriegen und Wirren nach Cäsars Ermordung tatsächlich der Retter der Welt geworden und erntete nun die Früchte. Diese Entwicklung war nicht wieder rückgängig zu machen. Wer auch immer ihrem Gemahl eines Tages nachfolgen würde – vermutlich Tiberius, ihr Sohn -, hätte unbeschränkte Macht.
Nur ein Land verweigerte die Verehrung hartnäckig: Judäa. Wer konnte wissen, ob es nach Augustus’ Tod nicht den ganzen Osten gegen einen zweiten Imperator aufzuwiegeln verstand. Doch ohne den reichen Osten zu regieren war das unmöglich. Umso wichtiger war es, in diesem Land eine Führung zu haben, die mit dessen widerspenstigem Volk umzugehen wusste und trotzdem Rom nahe stand. Ihrer Freundin einen Gefallen tun, hieße in diesem Fall also sogar, dem Imperium einen Gefallen zu tun.
Dennoch musste sie behutsam und geschickt vorgehen, denn Augustus hielt nichts von Frauen auf Thronen – Kleopatras unberechenbarer Regierungsstil, der Ägypten den Untergang gebracht hatte, diente ihm hierbei als Dauerbeispiel. Es konnte Jahre dauern, ihn dorthin zu bringen, wo sie ihn haben wollte, doch auch eine lange Reise begann mit einem ersten Schritt, und den täte sie noch heute.
Livia nippte erneut an dem erfrischenden Mischgetränk und blickte dabei auf das Absendedatum des Briefes. Er war vor neun Tagen geschrieben und mit einem persönlichen Eilboten ins ägyptische Alexandria geschickt worden. Der Bote hatte von dort eine der schnellen römischen Postbarken nach Rom genommen und war gerade noch rechtzeitig eingetroffen, bevor Augustus über Herodes’ Testament entschied.
Es klopfte dreimal, und so wusste Livia, dass niemand anderes als Augustus vor der Tür stand. Sie unternahm keine Anstalten, den Brief zu verbergen, obwohl er nicht für die Augen ihres Gemahls bestimmt war. Augustus würde es nicht wagen, auch nur einen einzigen Blick darauf zu werfen.
»Komm herein, mein Lieber«, rief sie. Nach mehr als vierzig Ehejahren konnte sie mit einem Blick erkennen, welcher Stimmung er war und wie sie ihn zu nehmen hatte. Heute war er zweifelsfrei lustlos. Klein, nicht mehr schlank, ein wenig unter seinem krummen Rücken
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