Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Mensch ist unnütz.«
Dann fielen die Frauen rücklings ins Gras und lachten, während die Jungen sich auf die Suche nach den Zweigen machten.
Salome und Berenike kicherten wie Mädchen. Vor vielen Jahrzehnten waren sie diejenigen gewesen, die die Weisheiten des jüdischen Glaubens vorgebetet bekommen hatten. Allerdings waren ihre Väter dabei wesentlich ernster vorgegangen. Salome und Berenike achteten heutzutage zwar viele der Bräuche – sie tauchten zum Beispiel jedes neue Geschirr im Palast eigenhändig in einen Brunnen -, doch für sie war es mehr ein Spaß als eine heilige Handlung.
»Du konntest die Sprüche deines Vaters nicht ausstehen«, erinnerte sich Berenike. »Und du hast auf der Suche nach den Zweigen geschummelt.«
»Wie bitte?«, fragte Salome in gespielter Empörung.
»Jawohl! Du hast dir die Zweige bereits im Palast gepflückt und unter das Gewand gesteckt. So warst du immer früher als wir anderen mit deinem Gebinde fertig und konntest dich über das charosseth hermachen.«
»Danach hatte ich immer Bauchschmerzen.«
»Und du tatest mir dann sogar noch Leid. Schön dumm von mir!«
Salome blickte ihre Freundin liebevoll über das sattgrüne Gras an. »Im Gegenteil. Damals habe ich mir oft gewünscht, etwas von deiner Güte und Sanftmut zu haben, und heute ist das manchmal auch noch so. Weißt du, diese vielen Pläne, die ich hatte, kamen mich teuer zu stehen.«
»Und wohin hat meine Sanftmut mich gebracht?«, widersprach Berenike. »Nein, Salome, so darf man sein Leben nicht betrachten. Natürlich hast du einiges verloren, andererseits auch vieles gewonnen. Gilead, vor allem, außerdem ein glückliches Ashdod und schließlich Philippi. Du hast etwas, worauf du stolz sein kannst. Was mich angeht: Ich bin zufrieden wie nie zuvor. Durch das neue Scheidungsgesetz konnte ich die letzte Verbindung zwischen Kephallion und mir endlich kappen. Ich bin eine freie Frau. Und ich werde Menahem heiraten.«
Salome gefiel der neueste Plan Berenikes nicht, diesen Menahem zu heiraten. Zwar hatten die Bluttaten aufgehört, und der Sektenführer Sadoq hatte kürzlich sogar verlautbaren lassen, er werde die Zeloten bald auflösen, da ihr Ziel eines von Rom befreiten Judäas vollbracht sei, doch Salome traute dem neuen Frieden im Land noch nicht.
Berenike bemerkte Salomes Skepsis. »Er hat mich vor Kephallion gerettet.«
»Er ist ein Zelot.«
»Ein gemäßigter Zelot.«
»Das ist ein Widerspruch in sich, so als würde man sagen ›himmlische Unterwelt‹ oder ›milder Hass‹.«
»Du selbst hast Agrippa dazu überredet, die Zeloten schon bald zu begnadigen.«
»Ja, damit in diesem Land endlich die Gewalt aufhört. Nichtsdestotrotz diente dein Menahem jahrzehntelang einem Verrückten.«
»Sadoq ist nicht verrückt. Er will Frieden und Freiheit.«
»Dann hat er eine seltsame Art, seinem Willen Ausdruck zu verleihen.«
»Kephallion hat ihn zu einigen falschen Entscheidungen überredet.«
»Dann ist Sadoq nicht nur verrückt, sondern auch beeinflussbar, und solche Menschen sind im höchsten Grade gefährlich.«
»Nackte Frauen, die tanzen, können auch gefährlich sein.«
Berenike bereute im nächsten Moment ihre Worte und schlug sich die Hand vor den Mund. »Das hätte ich nicht sagen dürfen, Salome. Bitte verzeih.«
Salome richtete sich halb auf und blickte ihre Freundin mit todernster Miene an. »So leicht kommst du mir nicht davon«, sagte sie eisig.
»Es tut mir Leid. Ein Wort hat das andere gegeben.«
»Weißt du, wie ich vor vielen Jahren Timon bestraft habe, als er mich beleidigte?«
Berenike schluckte. »Nein, wie?« Im nächsten Moment klatschte ihr ein klebriger Klumpen charosseth ins Gesicht.
»So!«, sagte Salome lachend. »Da hast du jetzt das charosseth bekommen, das dir als Kind entgangen ist.«
Ehe sie sich’s versah, klatschte Berenike ihr eine Hand voll des süßen Breis ins Gesicht, woraufhin die beiden sich lachend und kreischend mit Datteln und Trauben bewarfen und bald wie die Spätsommerwiese in allen Farben leuchteten.
Als Gilead und Agrippinos zurückkamen, trauten sie ihren Augen nicht. »Werden wir auch mal so?«, fragte Agrippinos.
Gilead lächelte. »Hoffentlich.«
Und dann stürzten sie sich in die Schlacht.
Der Winter kam in diesem Jahr ungewöhnlich früh und heftig nach Nazareth. Eisige Stürme peitschten über die Hochebenen Galiläas, denen schon bald die Stille des Schnees folgte. Das Leben ruhte. Bauern und Handwerker saßen untätig in ihren
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