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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Er vernahm nur das Wort König und fiel seinem Lehrer um den Hals. Er weinte fast, als er sagte: »Du bist so gut zu mir, Nikolaos. Du bist mein einziger Freund. Ich glaube, bald habe ich genug gelernt, um alles richtig zu machen. Wenn du einmal meine Hilfe brauchst, bin ich ebenso für dich da wie du für mich.«
    Timon räusperte sich. »Dann sind wir schon zwei«, sagte er und überreichte Archelaos einen silbernen Armreif mit winzigen Knospen darauf, von der jede einen weißblau schimmernden Stein enthielt.
    Archelaos staunte über das herrliche Stück. »Die Frauen werden dich einmal lieben, Timon«, sagte er, diesmal ohne Neid in der Stimme. »Nicht nur wegen deines Aussehens, sondern auch wegen deines Geschmacks.«
    »Danke«, erwiderte Timon strahlend, als habe er heute zum ersten Mal ein solches Kompliment erhalten. Tatsächlich jedoch galt er trotz seiner mageren zwölf Jahre den Mädchen im Palatinischen Palast als Liebling, denn er hatte blonde Locken, ein hübsches Gesicht und war der Beste seines Alters im Speerwurf, im Diskuswerfen und im Ringen.
    »Vier denari sind übrig geblieben«, sagte Timon. »Für meine Dienste berechne ich nur zwei davon.«
    »Timon«, rief Nikolaos empört.
    »Schon gut«, lachte Timon. »Es war ein Witz, Vater. Du weißt doch, dass ich niemals …«
    Timon kam nicht weiter, denn in diesem Moment rannte der Mann in die Gruppe, und alle drei fielen zu Boden.
    Archelaos schrie sofort, noch bevor er verstand, was vor sich ging, doch im Transtiberim bedeutete ein Schrei um Hilfe nicht mehr als woanders ein Husten.
    Der Mann zog ein langes Messer und stach zu. Nikolaos stöhnte auf und fasste sich an den Oberschenkel. Wie eine Katze sprang Timon nun auf den Mann, doch er war sehr kräftig und nicht zu Fall zu bringen. Timon krallte sich von hinten an seiner Schulter fest und rief: »Archelaos. Schnell, schlage ihn.«
    Archelaos sah mit weit aufgerissenen Augen zu, wie der Mann den Jungen auf seinem Rücken hin und her schüttelte, um ihn abzuwerfen. Doch mit zusammengebissenen Zähnen hielt Timon stand. »Tu doch was!«, rief er.
    Archelaos sah, wie sein Lehrer auf dem Boden lag und das Gesicht vor Schmerzen verzog. Er brachte es nicht fertig, sich neben ihn zu knien und ihn zu stützen, und auch nicht, sich dem Mann mit der Waffe zu nähern. »Hilfe«, rief er stattdessen und ging einige Schritte rückwärts.
    Auch der Mann ging rückwärts. Er war es leid, sich von Timon ärgern zu lassen, und rammte ihn gegen eine Hauswand. Timon fiel zu Boden, und der Mann fuhr herum und schnitt ihm mit dem Messer quer über den Oberkörper. Blut quoll unter der gespaltenen Tunika hervor. Nun stand dem Mann nichts mehr entgegen, seine Tat zu vollenden. Er stieß weitere zwei Male auf den hilflosen Nikolaos ein, und dann blickte er zu Archelaos.
    Der wich langsam zurück und streckte seine Hände abwehrend vor. »Tu mir nichts, bitte. Ich … ich gebe dir Geld. So viel du willst. Und ich werde … werde dich auch nicht verraten.«
    Der Mann richtete sich stumm vor seinem Opfer auf. Er sah zu Timon, der langsam wieder zu sich kam, ließ seinen Dolch fallen und verschwand zur großen Verwunderung von Archelaos. Der stieß seufzend alle Luft aus und hielt die Hände vor das Gesicht. »Danke«, murmelte er kaum hörbar. »Ich danke dir, mein Gott.«
    Timon schleppte sich halb benommen zu seinem Vater, der reglos am Boden lag. Er rüttelte an seiner Schulter, streichelte sein Gesicht. Tränen rannen über sein junges Gesicht. »Vater«, bettelte er. »Vater, bitte, wach doch auf. Es tut mir Leid, Vater. Ich konnte ihn nicht aufhalten. Ich habe dich hierher gebracht, Vater. Bitte vergib mir. Wach doch auf, Vater.«
    Wie durch ein Wunder bewegten sich plötzlich die Lippen des Alten. Er konnte seine Augen nicht öffnen, keine Regung war in seinem Gesicht zu erkennen, aber er wisperte etwas, so leise und so undeutlich, dass Timon es unmöglich verstehen konnte.
    »Ich höre dich nicht, Vater«, schluchzte Timon. Seine Tränen benetzten die Wangen des Alten, und in diesem Moment schlug Nikolaos die Augen auf. Sie waren voll von Liebe, und sein Mund verzog sich zu einem kaum sichtbaren Lächeln. Doch gleich darauf zuckte Schmerz durch seinen Körper, und sein Kopf fiel zur Seite. Timons junger, verwundeter Körper beugte sich in stummer Klage über die Leiche seines Vaters.
    Archelaos hatte die letzten Augenblicke fast reglos verfolgt. Erst jetzt löste sich seine Starre. Er begriff, dass er noch lebte

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