Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
und dass sein Lehrer gestorben war. Vorsichtig, als ginge er über Glasscherben, näherte er sich Vater und Sohn und kniete sich neben sie. »Gott wird ihn lieben«, sagte er, da ihm nichts anderes einfiel.
Timon lockerte die Umarmung seines Vaters und richtete sich auf. Voller Verachtung sah er Archelaos an. »Warum hast du uns nicht geholfen?«
»Der Mann war groß wie ein Bär und außerdem bewaffnet. Gegen solche Räuber kann man nichts ausrichten.«
Timon wischte sich die Tränen von den Wangen. Seine Wunde an Bauch und Brust schien er gar nicht zu bemerken. »Ein Räuber hätte den Schmuck und das Geld genommen.«
Archelaos blickte verdutzt auf den Reif, der gut sichtbar neben der Leiche lag, und auf die verstreut herumliegenden Münzen. »Das hieße ja …«
»Der Mann wollte nur meucheln«, ergänzte Timon. Mit Blick in das Dunkel, in dem der unbekannte Mann verschwunden war, schwor er: »Und ich werde herausfinden, wer dahinter steckt.«
»Akme«, donnerte Augustus und stürmte in den Thronsaal des Palatinischen Palastes, in dem Archelaos und seine Brüder warteten. Es war später Abend, und niemand hatte die Rückkehr des Augustus von seinem Kurort in Norditalien so bald erwartet. Doch schlimme Nachrichten hatten ihn nach Rom zurückgetrieben.
Er betrat dermaßen schnell und überraschend den Thronsaal, dass der Beamte, der ihn ankündigen sollte, erst zu sprechen begann, als Augustus fast schon auf seinem Sessel saß.
»Imperator Caesar Octavianus Augustus, Vater des Vaterlandes, vom Senat zum dreiunddreißigsten Male mit der tribunizischen Gewalt bekleidet, Triumphator, Pontifex Maximus, Konsul und Prinzeps von Rom.«
Die vier Herodianer hatten sich bereits wieder erhoben, als der Diener hinzufügte: »Und die edle Livia Drusilla, Gemahlin des Erhabenen.« Sie blieb etwas abseits stehen.
Ein weiteres Mal senkten sich die Köpfe der Brüder, doch noch bevor sie sie wieder heben konnten, fuhr Augustus sie an: »Akme, eure Tante, berichtet mir, dass ein Aufruhr in Judäa ausgebrochen ist, und zwar in Jerusalem und manchen Gebieten des Archelaos und des Antipas. Warum muss ich das von ihr erfahren? Wieso schafft sie es, deren Gebiet nicht vom Aufruhr betroffen ist, mich eher zu benachrichtigen als eure eigenen Leute? Kann mir das jemand erklären?«
Archelaos war von der Nachricht so bestürzt, dass er gar nicht so schnell Worte formen konnte, wie Augustus erneut zu schimpfen begann: »Nun, wenn ihr es nicht könnt, ich kann es. Eine Administration ist nur so fähig wie der Kopf, der sie führt. Eure Leute taugen nichts, also taugt ihr auch nichts. Keiner von euch wird König, jedenfalls nicht, bis ihr dieses ärgerliche Land im Griff habt.«
Archelaos schluckte. Außer hilflosen Gesten brachte er nichts zustande. Antipas verbeugte sich, wohl weil er glaubte, das könne nie schaden, und Philipp und Theudion ließen die Beschimpfungen über sich ergehen. Für Theudion stand zwar ohnehin nichts auf dem Spiel, aber er wollte um eine Erhöhung des geerbten Geldbetrages nachsuchen.
»Ich verfüge hiermit«, rief Augustus, »dass Antipas und Philipp als Tetrarchen die von Herodes bestimmten Ländereien regieren sollen. Ohne die Zustimmung Roms dürfen ihre Fürstentitel nicht erweitert werden, auch nicht durch Erbschaft. Archelaos wird zum Ethnarchen ernannt, zum Regenten des Volkes. Er regiert zwar die ihm vererbten Gebiete und erhält nominell die Oberhoheit über die Tetrarchen, doch das königliche Siegel und der goldene Reif verbleiben in Rom, bis er sich als würdig erweist.«
Er gab einem Beamten durch Kopfnicken ein Zeichen, und dieser stampfte einmal mit der lancea decreta , der Lanze des obersten Rechtes, auf den marmornen Boden, so dass es durch den riesigen leeren Thronsaal hallte. Es hörte sich entsetzlich endgültig an, und Archelaos musste sich sehr beherrschen, nicht jammernd auf die Knie zu fallen. Regent, das war viel zu wenig, das war wie eine Degradierung. Was würden seine römischen Freunde nun von ihm denken?
Einen Moment lang blieb es ruhig, dann trat Livia einige Schritte näher an den Thron, so dass sie ins Blickfeld des Augustus gelangte. Sehr diskret brachte sie ihrem Gemahl damit einen weiteren Punkt in Erinnerung.
Er räusperte sich. »Außerdem bestimme ich, dass das Erbe der Akme bestätigt wird. Sie erhält außerdem den Titel einer Tetrarchin. Im Übrigen werden das Testament und die damit versprochenen Geldsummen bestätigt.«
Erneut tönte der dumpfe Klang
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