Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
Gesang schlüpfriger Lieder und die aufreizenden Klänge von Tamburinen, die zum Takt wilder Tänze rasselten. Nikolaos bedauerte, nur langsam gehen zu können, denn die Gegend gefiel ihm ganz und gar nicht. Sein Sohn hingegen lief immer wieder ein Stück voraus, bis er manchmal nicht mehr zu sehen war.
    »Timon«, rief er streng, woraufhin sein Sohn sofort, wenn auch aufstöhnend und die Augen verdrehend zurückkam.
    »Ich kenne Rom wie die Falten meiner Tunika, Vater. Du kannst unbesorgt sein. Hier sind wir sicherer als in manch anderer Gegend von Rom. Denn die Leute hier besitzen nichts.«
    »Diese Logik hast du nicht aus meinem Philosophieunterricht«, erwiderte Nikolaos und blinzelte.
    Archelaos lachte. »Lass dir nichts einreden, Timon. Wir beide kennen Rom besser als alle Philosophen und Vornehmen, sogar besser als der Augustus.«
    Diesmal hatte Archelaos selbst einen Namen ausgesprochen, den er an diesem Abend eigentlich verdrängen wollte. Er schwieg verlegen, dann fragte er Timon: »Kennst du hier irgendwo einen Schmuckhändler?«
    »Gleich dort drüben«, sagte Timon strahlend, der froh war, dass er seine Kenntnisse von Rom unter Beweis stellen konnte. »Er ist ein griechischer Händler. Wenn du einen jüdischen brauchst …«
    Archelaos verneinte. »Suche mir bitte einen Reif oder eine Kette für das Mädchen in der Taverne aus. Ich bin sicher, du findest das Richtige für sie.« Archelaos tauchte mit der Hand tief in seine Toga ein, holte ein halbes Dutzend goldene aurea und noch einmal so viele silberne denari heraus und drückte sie Timon in die Hand.
    Der Junge spitzte die Lippen und pfiff gedehnt. »Dafür bekomme ich den halben Laden.« Gleich darauf lief er zu einer Tür, klopfte an und verschwand in einem dunklen Hausflur.
    Eine Weile standen die beiden Männer nebeneinander und schwiegen. Der Geruch von billigem Wein lag über der Gasse, und aus einem der Fenster quoll der beißende Rauch eines Kohlenfeuers, auf dem offenbar ein Fisch verbrannte. Das wilde Gezeter eines darauf folgenden Ehestreites war nur schwer zu ertragen.
    Von hinten näherte sich der Bote auf leisen Sohlen.
    »Du bist schweigsam«, sagte Archelaos. »Machst du dir Sorgen, wo Timon bleibt?«
    Nikolaos schüttelte leicht den Kopf. »Er kann gut auf sich aufpassen. Es ist seltsam, denn obwohl ich weiß, dass er noch sehr jung ist, fühle ich mich an seiner Seite sicher. Deshalb habe ich ihn vorhin zurückgerufen, nicht, um ihn zu beschützen. Ich würde ihm jederzeit mein Leben anvertrauen, und das kann ich wirklich nicht von vielen Menschen sagen.«
    »Ja, er ist gewitzt«, bestätigte Archelaos, und Nikolaos meinte, neben der Bewunderung auch etwas Neid in der Stimme seines Schülers zu hören. Nicht zum ersten Mal ertappte er sich bei einem solchen Verdacht. Archelaos hatte nie den Eindruck erweckt, gewitzt oder stark oder gebildet sein zu wollen. Immer wieder demonstrierte er, was er von diesen Eigenschaften hielt, wie gleichgültig, ja, ablehnend er ihnen begegnete. Heiterkeit, Witz und eine schnelle, leicht gehässige Zunge, die allerlei Klatsch zu verbreiten wusste, genügten ihm zum Zeitvertreib. Jeder seiner Freunde passte in die gleiche Schablone. Auch wenn Archelaos es nie zugeben würde, er sah auf zielbewusste Menschen herab, auf Menschen, die sich anstrengten. Aber dann gab es Momente, in denen er das Gefühl bekam, diese Menschen würden auch auf ihn herabsehen, und das passte ihm nicht. Dann wollte er sein wie sie, doch da ihm das zu aufwändig und langweilig schien, blieb er so, wie er war, und versteckte seine Missgunst hinter zahllosen Witzen und viel Wein.
    Hatte er ihn je gemocht, fragte sich Nikolaos.
    Zum ersten Mal stellte er sich diese Frage. Er mochte nicht, dass er gackerte, dass er dumme Fragen stellte, dass ihm die einfachsten Dinge nicht einfielen, dass er nach Wein roch, dass er die Juden vor dem Tempel getötet hatte, dass er wie ein Süchtiger durch Rom streifte, auf der Suche nach Lust, dass er …
    »Dann bist du vielleicht deswegen so still, weil du mein Betragen für unwürdig hältst?«, fragte Archelaos überraschend.
    Die Gelegenheit war günstig und käme nicht so schnell wieder. Jetzt könnte er ihm alles an den Kopf werfen. Archelaos selbst hatte das entscheidende Wort ausgesprochen: unwürdig. Ja, das war er.
    Warum unterstützte er ihn? Warum half er ihm, König zu werden?
    Weil Archelaos das geringste Übel war, darum. Antipas war indiskutabel, ein furchtsamer Charakter, in dem sich

Weitere Kostenlose Bücher