Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
der lancea decreta durch den Saal. Archelaos stand vor einem Trümmerhaufen.
»Verzeih, Erhabener«, wandte Theudion ein und hob vorsichtig den Zeigefinger wie auf einer Schulbank. »Ich habe von meinem Vater lediglich ein talent hinterlassen bekommen. Ich habe jedoch eine Frau und eine Tochter zu versorgen.«
Mit dieser Angelegenheit hatte Augustus sich nicht beschäftigt, sie war ihm neu und erschien ihm eher unbedeutend in Anbetracht dieses Berges von Problemen, die Judäa verursachte. Auch ein kurzer Blickwechsel mit Livia brachte ihm keinen Aufschluss – ihr war der Sachverhalt ebenso gleichgültig. Wenn er allerdings daran dachte, dass sein Stiefsohn Tiberius, dieser griesgrämige Misanthrop, fünfhundert talente geerbt hatte, der eigene Sohn des Herodes jedoch nur eines, war er versucht, diesem Theudion zuzustimmen. »Sechstausend denari sind in der Tat nicht viel für einen Mann deines Ranges. Wie kam es zu dem geringen Vermächtnis deines Vaters?«
»Eine Meinungsverschiedenheit kurz vor seinem Tod, Erhabener.«
Antipas mischte sich ein. Er zog den Kopf ein wenig ein, wie eine Schildkröte in unbekanntem Terrain, und machte einen Schritt auf den Thron zu. »Wenn ich sprechen darf, erhabener, weiser, göttlicher Imperator.«
Augustus verdrehte die Augen. »Ja doch. Wir sind ja hier, um zu sprechen, und nicht, um uns anzuschweigen.«
»Gewiss, erhabener, göttlicher …«
»Nun sprich endlich.«
Antipas leckte sich die Lippen und grinste Augustus an. »Es ging bei besagter Meinungsverschiedenheit um den römischen Adler vor dem Tempel, Erhabener. Theudion nahm die Zerstörer des Adlers vor unserem Vater in Schutz.«
Mehr musste Augustus nicht hören. Säufer, Speichellecker, Hasenfüße und sogar romfeindliche Widerständler, wie er jetzt erfahren musste: Diese Familie machte ihn ganz krank, und er wollte endlich auf das politisch Bedeutsame der Audienz zu sprechen kommen. »An den Geldsummen wird nichts verändert«, schloss er den Fall lapidar ab.
Das Scheppern der lancea decreta verbot jede weitere Einrede für Theudion. Er war geschlagen.
Augustus beugte sich nach vorne und fixierte Archelaos, so dass es diesen schauderte. »Wie«, fragte er, »gedenkst du den Aufstand zu bekämpfen?«
Zu dieser Frage fiel dem neu ernannten Ethnarchen gar nichts ein. Schließlich war er kein Offizier, sondern Herrscher. »Einfach so«, antwortete er und schickte ein verlegenes Kichern hinterher.
»Einfach so?«, echote Augustus. Er würde seine Kur um eine Woche verlängern müssen, beschloss er in diesem Augenblick. Dieses lächerlich kleine Land und seine nicht weniger lächerlichen Führer kosteten ihn alle Beherrschung, die er unzweifelhaft besaß, und wäre Judäa wegen seiner Lage im Gürtel von Schutzkönigreichen, der sich wie ein Polster zwischen sein Imperium und die Perser legte, nicht so wichtig gewesen, hätte er es längst fallen lassen. Es kostete ihn gewiss hundert Tage seiner Gesundheit.
Mit einer Stimme, die nur mühsam seine Ungeduld verbarg, erteilte er Archelaos Unterricht in der Kunst des Regierens: »Du, Archelaos, rufst Rom formell um Hilfe an. Dann marschieren meine Legionen ein und besetzen die großen Städte. Nur um Jerusalem kümmerst du dich selbst, da es eine schwierige Stadt voller empfindlicher Menschen ist, wie ich gehört habe.«
Archelaos stockte der Atem. »Erhabener, diese … diese Einmischung wird das ganze Volk beleidigen, auch die, die nicht am Aufstand beteiligt sind. Das werden sie mir nie verzeihen.«
Augustus blickte den jungen Ethnarchen mitleidlos an. »Rege dich nicht auf, Archelaos. Die Legionen ziehen sich nach der Niederschlagung des Aufstandes wieder hinter die Grenzen zurück, immer bereit, dir zur Seite zu springen, wenn du wieder einmal versagst.«
»Das … das bedeutet die faktische Hoheit Roms über Judäa. Ich glaube nicht, dass mein Vater, dein Freund, so etwas wollte.«
Augustus verzog keine Miene, als er antwortete: »Herodes ist tot. Entweder du akzeptierst mein Angebot, oder dein Volk wird dir die Herrschaft nehmen – und ich werde sie dann deinem Volk nehmen. Das Ergebnis ist für Rom das Gleiche, hingegen nicht für dich«, schloss er nüchtern. Er erhob sich, und den Herodianern blieb nichts anderes übrig, als sich zu verneigen.
Als Archelaos sich wieder aufrichtete, war Augustus bereits fort. Livia stand neben ihm, mit einem höflichen, aber kalten Blick aus grauen Augen. In diesem Moment verstand er, dass sie es war, die Augustus
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