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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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bewundert von den Edlen, geachtet von den Römern, geliebt vom Volk. Sie würde nach der Faszination streben, die Kleopatra einst ausstrahlte, und nach dem Ruhm der sagenhaften Königin von Saba. Ihr Name würde an allen Küsten des mare nostrum genannt werden und als Sinnbild für Gerechtigkeit gelten. Nach dem heutigen Tag war alles möglich.
    Sie stand auf und versuchte, wie eine Fürstin zu laufen, erhobenen Hauptes und mit durchgebogenem Rücken. Langsam ging sie in den Palast hinein in Richtung des gyneikon, des großen Frauengemachs, in dem die Tetrarchin wohnte und regierte. Doch auf halbem Weg wurde ihr diese vornehme Art zu gehen mühsam, und so lief sie, wie ihr Herz es gebot, schnell und ohne Rücksicht auf den Husten, der sie erneut quälte.
    Die Wache vor dem gyneikon ließ sie anstandslos passieren . Es war Salome gestattet, zu jeder Tages- und Nachtzeit die Gemächer der Tetrarchin zu betreten, und sie machte mehrmals wöchentlich davon Gebrauch. Mit der Zeit hatte sich eine vertrauensvolle Nähe zwischen ihr und der fast sechzig Jahre älteren Frau ergeben. Sie nahmen gemeinsam die Mahlzeiten ein, spazierten durch den Säulengang oder begutachteten die Haine. Die Tetrarchin erzählte ihr so manche Anekdote, aus der Salome ihre Schlussfolgerungen ziehen sollte. Mal waren die Schliche der Kaufleute das Thema, ein anderes Mal die Beeinflussbarkeit der Soldaten, die Gier der Hofbeamten nach Titeln oder die Dummheit religiöser Gruppen, die leicht gegeneinander auszuspielen waren. Im Grunde war allen Anekdoten gemein, dass sie Lehrstücke darüber waren, wie Menschen dazu gebracht werden konnten, das zu tun, was man wollte.
    » Shalom , Großtante. Wie geht es dir heute?«
    Die Tetrarchin saß wie fast immer an ihrem Schreibtisch. Dort, hinter der schweren Holzplatte, über Briefe und Berichte gebeugt, wirkte sie erstaunlich agil, so als sei jedes Dokument ein Jungbrunnen für sie. Salome staunte immer wieder, wie ihre Großtante es schaffte, trotz ihres nicht unbeträchtlichen Alters jeden Tag aufs Neue diese ungeheure Disziplin aufzubringen. Nur eine Idee, ein großes Ziel, vermochte solche Stärke zu geben.
    »Nicht halb so gut wie dir«, erwiderte sie. »Du siehst so mitgenommen aus wie schon lange nicht mehr, meine Kleine. Immer wenn du mitgenommen aussiehst, hast du dich körperlich oder geistig verausgabt, was bedeutet, dass du irgendeinen Erfolg zu feiern hast.«
    Salome war irritiert. »Ich scheine ein offenes Buch zu sein. Erstaunlich, wie du das herausgefunden hast. Je schlechter ich aussehe, umso besser geht es mir also, ja?« Salome musterte die Miene ihrer Großtante, bemerkte das feine Lächeln und rief: »Warte mal, du hast mir gar nichts angemerkt. Jemand hat dir berichtet, so ist es doch.«
    Akme lachte und klatschte in die Hände: »Gratulation! Dafür, dass du mich durchschaut hast, und dafür, dass du den alten Zausel von einem Rabbiner und seinen widerlichen Sohn übertölpeln konntest.« Sie stand auf und umarmte Salome. »Nicht zu fassen! Ein Mädchen im cheder der Jungen!«
    Sie lachte erneut, herzlich und erfrischend, und Salome stimmte ein.
    »Ich bin wirklich stolz auf dich, meine Kleine. Du hast nicht nur Zacharias’ Marotte ausgenutzt, über alles einen Disput abzuhalten, und Kephallions Unfähigkeit, rational zu denken und zu handeln, sondern auch die Antipathie, die zwischen beiden herrscht. Es war Zacharias gewiss eine Wonne, dich aufzunehmen, allein schon, um Kephallion zu ärgern. Meisterhaft, meine Kleine, unübertroffen meisterhaft.«
    So wie ihre Großtante es ausdrückte, hörte sich dieser Erfolg fast schäbig an. Sie war nicht mit der Absicht in den cheder gegangen, irgendjemanden auszunutzen. Sie wollte lernen. Sinngemäß jedoch sprach ihre Großtante die Wahrheit.
    »Nun zieh nicht so ein Gesicht«, erkannte Akme ihre Bedenken. »Du hast zwei Männer übertölpelt, und einer hat es nicht einmal gemerkt. Du hast allen Grund, zufrieden zu sein. Wer weiß, vielleicht folgen andere Mädchen deinem Beispiel und feiern dich eines Tages als ihre Heldin.«
    Salomes Gesicht hellte sich wieder auf. »Du hast sicher Recht, Großtante. Ich freue mich schon auf die Miene meiner Mutter, wenn ich ihr davon erzähle.«
    Die Tetrarchin nickte und seufzte leise. »Erwarte nicht, dass sie den Wert deines Erfolges erkennt. Deine Mutter hat zwar nichts gegen Manipulation, sie legt allerdings den Schwerpunkt allein auf die Beeinflussung durch weibliche Reize und … Na, egal, sie

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