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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Mann nahm die letzte Kurve besser als Timon. Das Publikum sprang auf, und ein einziges »Demetrios« donnerte von allen Seiten. Doch in der Geraden konnte Timon wieder aufholen und ritt schließlich mit einer viertel Pferdelänge als Sieger ins Ziel.
    Ein enttäuschtes Stöhnen ging durch die Menge, und die meisten Zuschauer sackten auf die Bänke zurück. Nur Archelaos sprang auf und applaudierte. Einen Moment lang überlegten die Leute, wie sie sich nun verhalten sollten. Gewiss, Timon war gebürtiger Grieche, sein Vater war ein angesehener Mann aus der griechischen Gemeinde in Damaskus gewesen. Aber sein Vormund war ein Jude, noch dazu der Ethnarch des ungeliebten jüdischen Volkes. Wenngleich man Archelaos zugute hielt, dass er ziemlich unjüdisch lebte und in den vergangenen Jahren gegen seine eigenen Leute hart vorgegangen war, stand man doch nicht voll hinter dem wankelmütigen Herrscher Judäas. Man traute ihm nicht, oder besser, man traute ihm nichts zu.
    Das Publikum entschied sich dafür, Timon mit einem höflichen, jedoch reservierten Applaus zu bedenken. Er war der Sieger, der beste Reiter seines Alters in Jerusalem, und diese Leistung respektierte man, nicht mehr und nicht weniger.
    Die Menschen warteten noch ab, bis Archelaos den jungen Timon zum Gewinner des Rennens erklärte, dann strömten sie wohlgeordnet aus dem Gebäude. Den Ruhm für den Sieger schienen sie mitzunehmen, um ihn im nächsten Jahr umso ausgiebiger auf den nächsten Sieger zu häufen.
    »Komm herauf«, rief Archelaos seinem Schützling zu. Timon klopfte Andromeda, seinem Pferd, anerkennend auf den Hals, flüsterte ihm etwas ins Ohr und führte es zu einem kleinen Holztrog, der mit Wasser gefüllt war. Auf dem Weg zur Tribüne nahm er mehrere Stufen auf einmal, so dass seine schulterlangen blonden Haare im Wind flatterten. Archelaos verfolgte jeden seiner schwungvollen Schritte. Er bewunderte fast alles an Timon und vermisste es an sich selbst. Manchmal wünschte er, Timon einige von dessen Eigenschaften einfach rauben zu können.
    Timon ließ sich auf den Schemel neben Archelaos fallen und streckte die Beine aus. Mit den Füßen streifte er sich die locker gebundenen Sandalen ab, dann stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Trotzdem schien er nicht froh. »Das war knapp«, sagte er. »Ich habe mir etwas ausgerechnet. Dass es allerdings zum Sieg reichen würde …«
    Archelaos grinste schief und goss sich vom Wein ein, ohne Timon etwas anzubieten. »Du bist eben etwas kleiner und leichter als deine Rivalen, das verschafft dir einen Vorteil.«
    Timon wandte sich verärgert von ihm ab und schaute quer durch das Hippodrom auf die Ränge, die nun fast leer waren. »Meine Landsleute sehen das wohl ebenso wie du«, meinte er. »Ein Wunder, dass sie überhaupt applaudierten.«
    »Die meisten Griechen sind Kaufleute. Sie wollen ihre Geschäfte nicht verderben, indem sie den Regenten beleidigen. Das soll deine Leistung nicht schmälern, Timon. Aber meine niedrigen Steuern für sie haben gewiss zu dem Applaus beigetragen.«
    Timon zuckte mit den Schultern. »Wenn du meinst …« Er spürte den Zorn auf Archelaos in sich wachsen. So etwas erlebte er seit Jahren fast jede Woche einmal, doch in letzter Zeit nahm der Zorn und dessen Heftigkeit zu. Er konnte Archelaos nicht verzeihen, dass er seinem Vater damals nicht zu Hilfe gekommen war. In den Jahren als sein Mündel sah er ihn immer als erbärmlichen Feigling, und nachts träumte er sogar von der ängstlichen Stimme, die immerzu rief: Bitte nicht, nein, tu mir nichts. Und doch hatte er sich in den Willen seines Vaters gefügt und Archelaos als Vormund akzeptiert. Nun war er volljährig, und er brachte trotz aller Anstrengung keine Ergebenheit mehr für diesen Mann auf.
    Nur wenige Zuschauer hielten sich noch vor den Ausgängen des Hippodroms auf. Außer einem Sklaven, der bereitstand, die Wünsche des Ethnarchen zu erfüllen, war er mit Archelaos auf der Tribüne allein. Vielleicht war jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, und selbst wenn nicht, Timon konnte nicht mehr warten.
    »Ich werde gehen«, verkündete er. »Ich bin jetzt beinahe siebzehn Jahre alt. In Jerusalem hält mich nichts. Diese Stadt ist nicht meine Heimat. Ich kann hier nichts bewirken, und ich fühle mich hier nicht wohl. Den Griechen bin ich zu jüdisch und den Juden zu griechisch. In anderen Kategorien denken die Leute hier nicht. Das ist schlimm, doch so ist es nun einmal, und das ist nicht meine Welt. Ich habe nur

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