Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
wird zumindest nichts gegen deinen kleinen Sieg haben, weil sie weiß, wie ich darüber denke. Sie sieht dich schon als meine Nachfolgerin. Und ich – nebenbei gesagt – auch.«
Salome dachte darüber nach, wie sie ihrem strengen Vater den Unterricht erklären sollte, so dass sie die letzte Bemerkung ihrer Großtante zunächst gar nicht wahrnahm. Es dauerte einen Moment, bis sie die Bedeutung dessen begriff, was Akme soeben gesagt hatte.
Bisher war dieses Thema ein Tabu in ihren Gesprächen gewesen, das ihre Großtante umschiffte wie ein altgedienter Kapitän eine gefährliche Klippe. Alter und Tod schien es für die deutlich über siebzigjährige Tetrarchin nicht zu geben, ja, es war Salome manchmal vorgekommen, als erwarte die alte Frau noch etwas und sei sich sicher, dass sie nicht sterben würde, bevor dieses Ereignis eintrat. Ganz selten, während mancher Lektionen, meinte Salome zu spüren, dass sie nur deshalb unterwiesen wurde, um in die Fußstapfen ihrer Großtante treten zu können, aber das war nur ein diffuses Gefühl gewesen, vielleicht Wunschdenken. Zum ersten Mal nun war dieses eine Wort gefallen, auf das Salome schon lange gehofft hatte: Nachfolge.
Vor Aufregung musste sie kräftig husten, dann stammelte sie: »Du meinst … ich werde … dir …«
»Nachfolgen«, nickte die Tetrarchin. »Und zwar schon sehr bald.«
Das überraschte Salome noch mehr. »Woher willst du wissen, wann du …?«
Die Alte lachte. »Oh nein, so weit ist es noch nicht«, kam sie dem gehassten Wort zuvor. »Ich werde dir jetzt etwas sagen, meine Kleine, das du niemandem erzählen darfst, nicht deiner besten Freundin, nicht deiner Mutter. Niemandem «, betonte sie noch einmal.
Salome trat zum Zeichen des Einverständnisses einen Schritt näher an ihre Großtante heran.
»Also«, sagte die Tetrarchin, »ich beabsichtige, das zu werden, was du mir vor einigen Jahren – in der Sänfte auf dem Weg hierher, du erinnerst dich vielleicht – auch als dein Ziel genannt hast: Königin.«
Salome hatte manchmal diesen Verdacht gehegt. Königin zu werden, wo es vor Prinzen nur so wimmelte, war jedoch in diesem Land so gut wie unmöglich. Wenn Salome davon träumte, eines Tages Königin zu sein, dann kam in diesem Traum auch immer ein Mann vor, ein König, den sie mit viel Überredungskunst dazu bringen würde, ihre eigenen Vorstellungen zu berücksichtigen. Der alten Akme schien hingegen keine Ehe vorzuschweben.
»Großtante«, sagte Salome. »Glaubst du nicht, dass Onkel Archelaos die größeren Aussichten hat, König zu werden?«
»Oh, vergiss Archelaos und die Tradition. Wir leben in einer neuen Zeit, Salome, merkst du das nicht? Unsere Tempel und Paläste sehen hellenisch aus, unsere Kleidung ähnelt mehr und mehr der römischen, unsere Feste sind arabisch opulent. Griechische Kaufleute dominieren die Geschäfte. Die Welt der Ahnen ist alt geworden, Salome, sie geht am Stock. Heute ist alles möglich, die kühnsten Träume werden erfüllt. Ein fremder Mann bestimmt über die Besetzung unseres Throns, und eines nicht mehr allzu fernen Tages werde ich zu ihm nach Rom reisen, und dann wirst du wissen, dass das große Ereignis bevorsteht. Mit mir beginnt eine neue, eine junge Ära. Sobald ich Königin bin, übergebe ich dir meine Tetrarchie. Dann bist du eine Fürstin, meine treueste Gefolgsfrau, und wie ich dich einschätze, wird das erst der Anfang deines Weges sein.«
Salomes Herz bebte. Sie, eine Fürstin! Eine Erbin des Throns von Ashdod, Herrin über hunderttausend Menschen, über fruchtbare Landstriche, über Häfen und Schiffe und Millionen Zitrusbäume und Balsamsträucher und Dattelpalmen. Für immer in diesem Palast leben, hohe Besucher empfangen, nach Rom reisen und mit Augustus und Livia in den Palatinischen Gärten sitzen, das Land der Pyramiden befahren … Sie konnte so vieles erfahren, so viel Wissen aufsaugen, bis sie fast platzte.
»Es ist an der Zeit«, sagte Akme, »dir das Horoskop zur Kenntnis zu geben, das Herodes’ Hofastrologe am Tage deiner Geburt erstellte. Er sprach davon, dass du zu Großem geboren seist, aber er sagte auch, dass sich dir mächtige Gegner entgegenstellen werden. Ich werde dir alles beibringen, was du wissen musst, um zu siegen, meine Kleine. Als Frau auf dem Thron musst du noch weitaus härter sein als die Männer. Wo sie strafen, musst du vernichten, wo sie verhandeln, musst du diktieren. Du darfst dir keine Schwäche erlauben. Das Horoskop sprach auch von deiner
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