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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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machte ihn vor den anderen lächerlich, wie so oft. Heute war es schlimmer, denn vor ihm stand dieses hässliche Mädchen und verbündete sich geradezu mit dem Rabbiner .
    »Die Tradition«, keifte er, »lässt ein Mädchen als unsere Mitschülerin nicht zu.«
    Die Peitsche des Rabbiners klatschte auf das Pult. » Chamor «, rief er. »Du argumentierst abstrakt und voreingenommen.«
    »Das tue ich nicht«, zischte Kephallion. »Tradition ist nicht abstrakt.«
    »Chamor «, rief Zacharias erneut. »Tradition muss auf den Worten des Herrn beruhen. Wo erhabene Schriften die Tradition nicht eindeutig stützen, wird Tradition irrelevant, ja, gefährlich. Der Mensch darf Gebote nicht selbstherrlich erweitern, nur weil sie seinem wankelmütigen Empfinden entsprechen. Wir sind zu beschränkt und zu sterblich, um so etwas wagen zu dürfen.«
    »Das ist vielleicht deine Meinung, ich dagegen sage …«
    Die Rute des Zacharias zischte nur einen Fingerbreit an Kephallions Nasenspitze vorbei und schlug knallend gegen die Wand. Kephallion erstarrte. Die Schüler gaben keinen Mucks mehr von sich. So etwas war noch nie vorgekommen. Hatte Zacharias, der sonst so Gefasste, tatsächlich versucht, seinen Sohn zu peitschen? Oder war ihm die Rute nur ausgeglitten? Jedenfalls klang die Stimme des Rabbiners schon wieder ruhig, als er sagte: »Wenn das alles ist, was du vorzubringen hast, Kephallion, schließe ich den Disput hiermit. Du darfst dich setzen.«
    Salome war dem Streit mit Staunen gefolgt, aber jetzt war sie erleichtert. Sie hatte gewonnen. Sie hatte Kephallion besiegt und Zacharias und die Schüler überzeugt. Wer durfte sie jetzt noch dumm nennen? Mit bebendem Herzen sah sie zu Zacharias auf, der zu ihr kam, sie mit beiden Händen an den Schultern fasste und auf die Stirn küsste.
    »Willkommen«, sagte er, unterstützt vom Applaus der Schüler. »Du darfst dem Unterricht ab morgen beiwohnen, Salome, mit Ausnahme der Tage, an denen du unrein bist. Du hast mich verstanden?«
    Sie sah peinlich berührt zu Boden und nickte. An den Tagen ihrer Blutungen galt sie als unrein, als tabu, und kein Mann durfte sich ihr nähern. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht, doch ein aufmerksamer Rabban wie Zacharias befolgte dieses Gebot selbstverständlich.
    An seinen Sohn gewandt, sagte Zacharias: »Das wäre übrigens ein gutes Argument gegen die Aufnahme Salomes gewesen, was erneut beweist, dass du ein chamor bist.«
    Kephallion sprang auf, sein Stuhl kippte dabei nach hinten um.
    »So, jetzt reicht’s mir«, schrie er. »Ich habe deine Beleidigungen ein für alle Mal satt.« Ohne ein weiteres Wort stürmte er nach draußen und schlug die Tür hinter sich zu.
    Zacharias schmunzelte. Er wirkte geradezu heiter. »Was für ein chamor «, murmelte er kopfschüttelnd und hob seine Rute auf. »Was für ein unsagbar dämlicher chamor .«
     
    Salome krallte ihre zierlichen Finger in den Stein und schwang sich um die schlanke Säule herum, hüpfte zur nächsten und dann weiter, den halben Säulengang des Palasthofes entlang. So feierte sie ihren Triumph, und nicht einmal der Schwindel hielt sie auf. Erst als er überhand nahm, als die Welt schon wie ein Boot im Sturm schwankte, setzte sie sich auf die von der Sonne erwärmten Fliesen und lehnte sich gegen den Sockel der Säule. Sie lachte, reckte ihre Arme in die Höhe und schloss die Augen.
    Was würde Berenike sagen! Und was erst Akme! Der pedantische und tadellose Zacharias, dessen Meinung unangreifbar war, hielt sie für würdig genug, unterrichtet zu werden. Das war grandios, das war nicht zu überbieten. Alles war jetzt anders als noch heute Morgen, alles galt viel mehr. Die Diener, die Familie, der Palast, die singenden Vögel und überhaupt die ganze Welt schienen nur für sie da zu sein, nur ihr zu Füßen zu liegen. Natürlich war das dumm, sie wusste das, aber so fühlte sie in diesem Augenblick nun einmal, und sie gab diesem Gefühl gerne für einen Moment nach, träumte davon, wie ihre Großtante sie für ihren Erfolg schätzen würde … Immerhin hatte sie etwas geschafft, das nicht einmal ihr gelungen war.
    Salome öffnete die Augen. Die Welt stand wieder gerade, die Mosaike der Fliesen drehten sich nicht mehr. Der quadratische Innenhof des Palastes glühte verlassen in der Mittagssonne, nur der überdachte Säulengang bot willkommenen Schatten. Einen Atemzug lang stellte sie sich vor, dass das alles eines Tages ihr gehören könnte. Hier, in Ashdod, würde sie Fürstin sein,

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