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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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einen findest.«
    Die Schüler kicherten, doch Zacharias’ Rute peitschte mit lautem Knall auf das Pult. »Keine persönlichen Stellungnahmen«, gebot er. »Deine letzte Bemerkung war unsachlich, Kephallion. Reiß dich zusammen.«
    Kephallion presste die Lippen aufeinander, bis sie weiß wurden.
    Salome war ein wenig erleichtert, dass Kephallion so forsch mit seiner Argumentation begonnen hatte, denn nun konnte sie sich damit begnügen, ihn zu widerlegen, anstatt ihren Anspruch zu begründen. Das wäre ihr deutlich schwerer gefallen.
    Sie räusperte sich, unterdrückte den Husten. »Mein Vater«, begann sie mit zerbrechlicher Stimme, »hat mich die Buchstaben gelehrt, nicht den Sinn hinter den Buchstaben.«
    »Den Sinn der Gebote zu kennen, steht dir nicht zu. Gehorche ihnen.«
    »Das ist ungerecht. Du darfst die thora kennen und ihren Sinn auslegen, ich nicht.«
    Kephallion grinste. »Der Herr hat dich auf diesen Platz gestellt, indem er dich eine Frau werden ließ. Einen anderen Platz einnehmen zu wollen ist also von Gott nicht gewollt. Du benimmst dich ungebührlich.«
    Ihre Furcht und ihre Aufregung waren jetzt wie weggeblasen, sie vergaß, jemals gehustet zu haben, jemals von Kephallion gedemütigt worden zu sein, vergaß ihr Unwissen über so viele Dinge, vergaß ihren Vater und ihre Mutter und Berenike, die alle meinten, sie gehöre nicht in einen cheder . Wie sich alle doch irrten! Bisher hatte sie den Unterricht zwar gewollt, doch erst jetzt wusste sie, dass sie ihn auch wirklich verdiente.
    Sie zitierte auswendig: »›Wer im Besitz des Wissens der thora ist, weiß, welcher Platz ihm gebührt.‹ Wie«, fuhr sie fort, »soll ich den mir gebührenden Platz kennen und einnehmen, wenn ich die thora nicht studieren darf?«
    »Das … äh …« Kephallion kratzte sich am Kopf und schien eine passende Erwiderung in allen Ecken des cheders finden zu wollen, denn seine Augen huschten unruhig hin und her. Schließlich meinte er, etwas gefunden zu haben. »Wissen ist ein Privileg, und Privilegien stehen Frauen nicht zu. Ihr dürft ja nicht mal als Zeuginnen vor Gericht auftreten. Das habt ihr sonst nur mit den Sklaven gemeinsam. Sogar Nichtjuden werden als Zeugen akzeptiert«, schloss er.
    Salome erinnerte sich an die wenigen Stellen der thora , in denen von Frauen die Rede war.
    »Und was ist mit Deborah?«, platzte sie heraus. »Sie hat als Richterin fungiert, und eine Richterin ist sicher angesehener und privilegierter als eine Zeugin. Und Miriam war sogar eine anerkannte Prophetin, die im Besitz aller Weisheiten der thora war.«
    »Gegen diese Prophetin stehen fünfzehn männliche Propheten.«
    Dieser Sachverhalt war ihr neu. So ging es nicht weiter. Kephallion kannte zu viel aus der thora . Mit Wissen allein kam sie nicht gegen ihn an. Sie musste eine andere Taktik einschlagen. Ihr fiel ein, wovon die Tetrarchin schon so oft erzählt hatte: die Schwächen der Menschen. Das war es. Sie musste Kephallion an einer Stelle treffen, die ihn aus dem Konzept bringen würde. Kephallion war leicht erregbar. Er nahm es mit dem Glauben sehr genau, sprach oft von Sünde, von den ungläubigen Römern, die von Gott verdammt seien, und so weiter. Im Gegensatz zu Zacharias, der vernünftig und maßvoll argumentierte, war Kephallion voller Zorn.
    »Na, dir gehen wohl die Argumente aus«, provozierte er sie.
    »Wenn fünfzehn Propheten gegen eine Prophetin stehen«, sagte sie, »so stehe ich als ein Mädchen eben gegen euch sieben Jungen.«
    »Der Vergleich ist Unsinn«, keifte er. »Wir sind hier doch keine Propheten.«
    »Ihr vielleicht nicht. Aber die innere Stimme, die mich hierher in den cheder getrieben hat, kommt vielleicht von Gott.«
    Kephallion schnappte nach Luft. »Du willst dich doch wohl nicht mit einer gottgesandten Prophetin vergleichen wollen?«
    Salome zuckte provozierend mit den Schultern. »Wieso nicht? Ich kann doch heute noch nicht wissen, was der Herr mit mir vorhat.«
    Die Schüler lachten, und Kephallion wandte sich Hilfe suchend an seinen Vater. »Gegen diese Blasphemie musst du einschreiten.«
    Zacharias schüttelte bedächtig den Kopf. »Sie argumentiert gewagt, kein Zweifel. Dennoch: Es ist zwar unwahrscheinlich, jedoch möglich, dass der Herr sie zu etwas Besonderem erhebt.«
    »Ich weiß, dass sie nichts dergleichen wird.«
    »Nicht einmal ich weiß so etwas. Wie kann dann ein chamor wie du so etwas wissen.«
    Kephallion ballte unauffällig die Fäuste. Sein Vater hatte ihn einen Esel genannt, er

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