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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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hatte er einen Traum. Er sah einen langen Trauerzug. Die Stützen der Gesellschaft waren da. Die Frau Oberbürgermeister, der Kulturdezernent, die Chefredakteure der wichtigsten Medien. Sogar Dieter, der Wirt des »Promi«, und seine betörende Kellnerin Elvira schritten Arm in Arm, mit bleichen Mienen und geröteten Augen hinter dem Sarg her. Und alle trugen Schwarz. Nur einer verunzierte das pietätvolle Ereignis mit einem schamlosen Farbtupfer: Schmalenbach. Er trug eine grüne Jacke, eine blaue Hose und ein gelbes Hemd. Seine Krawatte war knallrot.
    Alle nahmen Abstand von ihm, und die Witwe wandte sich ab, als er ihr sein Beileid aussprechen wollte. Es war ein Jammer. Die ganze Stadt wusste, was sich angesichts des Todes gehörte. Nur Schmalenbach, dieser spätpubertäre Dickkopf, lief wie ein Pennäler auf dem Friedhof auf. Er erwachte schweißgebadet.
    Am Morgen dieses Tages fasste er den Entschluss, sich einen schwarzen Anzug zu kaufen.
    Elke war dagegen. »Warum brauchst du einen schwarzen Anzug? Kauf dir lieber neue Unterwäsche. Meinetwegen schwarz, aber kein Feinripp. Schmal, neckisch und raffiniert.«
    »Wir sind keine zwanzig mehr. Bald beginnt in unserem Umfeld das große Sterben. Das ist eine biologische Unausweichlichkeit.«
    »Ist dir klar, wie du in Schwarz aussiehst? Wie ein Grottenolm. Du bist nicht der Typ für einen schwarzen Anzug. Zu dir passt allenfalls dunkelblau – oder grau. Am besten steht dir grün, finde ich, und ich verstehe etwas davon. Grün in Kontrast zu blau, mit einem gelben Hemd und einer roten Krawatte.«
    Nun wusste Schmalenbach Bescheid. Es lag weniger an ihm, dass er nicht gerüstet war für den Herbst des Lebens. Es lag an seiner Lebensgefährtin, die in ihm eher den Papagei sah als den gereiften Menschen, dessen ehrlich empfundenes Beileid auch in den noblen Kreisen der Stadt gerne entgegengenommen wurde.
    Schmalenbach suchte ein angesehenes Bekleidungshaus auf und wurde von einem älteren Herrn, der sehr viel Verständnis zeigte, am Konfektionspublikum vorbei gleich zu einem Meister seines Faches geführt, der – wie er in sympathischer Offenheit gestand – schon schwarze Anzüge für Jörg Haider und Minister Eichel maßgeschneidert hatte. Er begutachtete Schmalenbachs Körper und beglückwünschte ihn zu seinen geradezu idealen Maßen, die denen von Herrn Kachelmann angeblich verblüffend nahe kamen.
    Wenige Tage später schon konnte Schmalenbach das edle Tuch abholen. Der Anzug passte, als wäre er darin groß geworden. Er fand nur, dass er in dem guten Stück etwas bleich wirkte.
    »Soigniert«, korrigierte ihn der Verkäufer. »Sie haben einfach die Physiognomie für Beerdigungen. Das zeugt von Reife und Lebenserfahrung. Sie haben Höhen und Tiefen durchmessen und wissen um die Prinzipien des Seins. Nur wenige Menschen erreichen dieses Stadium.«
    Nun konnte Schmalenbach nichts mehr passieren. Selbst harsche Schicksalsschläge, schwere Unfälle, ja Epidemien konnten seinen Freundeskreis heimsuchen – er war gut vorbereitet.
     
    An diesem Abend gab er einen aus. Man fragte ihn nach dem Grund für die großzügige Geste. »Nichts Besonderes. Ich habe mir nur einen schwarzen Anzug schneidern lassen.«
    Die Freunde beglückwünschten ihn zu diesem Schritt – und setzten ihre Gespräche fort.
    Schmalenbach freute es, dass alles so unaufwändig über die Bühne gegangen war. Er hatte sich wieder einmal selbst an den Haaren aus dem Sumpf gezogen.
    Es ging rapide aufwärts mit ihm. Sein Leben hatte durch den schwarzen Anzug gewonnen. Wenn er jemandem die Hand reichte, tat er dies mit der Gewissheit, dass er durch dessen überraschendes Ableben in keine Verlegenheit gestürzt werden würde, ja, dass er mit seinem schwarzen Anzug auf dem Leichenbegängnis des Betreffenden für eine kultivierte Note sorgen würde. In den Tagen nach dem Kauf des Anzugs gelangen Schmalenbach erstaunliche Dinge: beruflich, politisch und privat.
    Schmalenbach war wieder ganz oben.
    Aber nach einigen Wochen verblasste das Gefühl der Erhabenheit etwas.
    Schmalenbach ging öfter zum Schrank und fasste den edlen Stoff des Anzuges an. Wehmut befiel ihn. Er hatte ein kleines Vermögen investiert, sich beinahe mit Elke entzweit – und nun hing der schwarze Anzug ungebraucht im Schrank.
    Was war los? Hatte das Schicksal ihn vergessen?
    Es starb einfach niemand in Schmalenbachs Umgebung. Selbst in Elkes siecher Familie, in der früher alle paar Tage das Ableben einer Tante oder eines Onkels Anlass

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