Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
musste sich einfach dazu durchringen, morgens nach dem Aufstehen gleich mit dem Getränk weiterzumachen, mit dem man am Abend vorher aufgehört hatte. Aber dieses Rezept konnte er Elke unmöglich vorschlagen. Selbst Schmalenbach wandte es nur in exorbitanten Fällen an.
»Weißt du, was das Schlimmste ist?«, fragte sie mit kehliger Stimme.
»Die Kopfschmerzen«, antwortete Schmalenbach sanft.
Elke erschrak und griff sich an die Stirn. »Die hatte ich bisher noch gar nicht bemerkt. Oh, nein, mir platzt gleich der Schädel.« Sie klang jämmerlich.
Schmalenbach musste was tun. Er war ihr das einfach schuldig. Auch wenn sie sich nie sehr verständnisvoll oder gar hilfreich zeigte, wenn er litt, weil er am Abend ein, zwei Biere zu viel genossen hatte. Im Gegenteil: Sie machte ihm harsche Vorwürfe, hantierte extra laut mit Töpfen und Tellern herum und drehte einen Dudelsender auf volle Lautstärke. Bloß um ihn dafür zu bestrafen, dass er sein Leben in vollen Zügen genoss, während sie sich aufgrund ihrer verpatzten Erziehung jede kleine Freude verbat.
Aber Schmalenbach war nicht wie Elke. Er wusste, was es hieß zu leiden. Er tätschelte ihren schweißnassen Handrücken und sagte: »Keine Angst, das ist nur so ein Gefühl. Dein Schädel wird nicht wirklich platzen. Das ist – rein physiologisch gesehen – gar nicht möglich. Zumindest nicht aufgrund der drei, vier Wein und des einen Grappa, den du getrunken hast.«
Sie zog ihre Hand weg und stöhnte genervt auf. Elke konnte es nicht ertragen, wenn er in schwierigen Situationen souveräner war als sie.
Schmalenbach stand auf und drehte das Radio auf. Abba lief. Schmalenbach stellte lauter.
»Schön, die alten Titel aus unserer Jugend, was?«, fragte er.
Elke ächzte. »Bitte!«
»Du möchtest keine Musik hören?«
Elke schüttelte den Kopf. Schmalenbach war kein Unmensch. Er stellte einen anderen Sender ein. Die Nachrichten. Neues aus dem Nahen Osten. »Weißt du, was ich denke, wie dieser unselige Konflikt zu lösen wäre?«, fragte er.
Elke schüttelte den Kopf. »Ich will’s nicht wissen.«
Das wiederum kränkte Schmalenbach. Man konnte zu viel trinken und am nächsten Morgen sein Leid über Gebühr ausleben. Aber man durfte doch deshalb nicht die Augen vor den Problemen dieser Welt verschließen.
Um Elkes strapazierte Nerven nicht noch mehr zu reizen, begann er schon mal, das Frühstücksgeschirr zu spülen. Er pfiff dabei die Vogelhochzeit. Er hatte ja nicht zu viel getrunken. Nur drei oder vier Wein und den einen Grappa zum Schluss.
»Lass das Geschirr!«, zischte Elke.
»Ich dachte, ich nehme dir etwas Arbeit ab. Aber wenn du nicht willst …« Schmalenbach trocknete sich umständlich die Hände ab. Er war jetzt wirklich fast so weit, sie in ihrem Elend allein zu lassen. Selbst wenn man noch so litt, gab einem das noch lange nicht das Recht, denjenigen, der selbstlos seine Hilfe anbot, schroff abzuweisen.
Elke massierte ihre Schläfen. »Nun sag schon: War ich schlimm?«
Wie Schmalenbach diese Frage hasste! Dass die Frauen niemals für das, was sie taten, Verantwortung übernehmen konnten. Wie Kinder waren sie. Am Abend die Sau rauslassen und am nächsten Morgen mit einem unschuldigen Augenaufschlag so tun, als gingen sie die Unverschämtheiten, die sie sich geleistet hatten, nichts mehr an. Ja, diese perfide Frage bürdete im Grunde den Männern die Verantwortung für das auf, was am Vorabend geschehen war. Nach dem Motto: Wenn du nicht in der Lage bist, mich im Zaum zu halten, hast du es nicht besser verdient.
Frauen waren einfach unreif. Nichts bewies das besser als die peinliche Frage: War ich schlimm?
Elke kamen die Tränen. »Bitte, sag es mir, wenn ich etwas getan habe, was ich sonst nicht tun würde! Bitte!«
War das nicht eine einmalige Chance? Vielleicht war Elke ja doch noch nicht zu alt, um etwas dazuzulernen?
»Na ja, ein bisschen komisch war es schon«, begann er bedächtig.
Elke saß sofort kerzengerade. »Was?«
»Du hast ja schon vor dem Essen zu viel getrunken. Und dann auch noch diesen völlig übersüßten Aperitif. Obwohl ich dich gewarnt habe. Und als wir dann das Essen bestellten … Wo du mir doch ständig diese entnervenden Vorträge hältst. Über die ethischen und medizinischen Konsequenzen des Fleischessens …«
»Ich habe doch nicht etwa Fleisch gegessen?«, fragte Elke atemlos.
»Was ist schlimm daran? Nur dieses Cerebrali piemontese, das Aldoino so köstlich zubereitet. Ich bewundere dich ja für
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