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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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nicht, was Schmalenbach von ihm wollte.
    »Die Geistesgeschichte wird neu geschrieben werden müssen«, sagte Schmalenbach.
    »Ich fürchte, Sie haben sich verwählt«, sagte Jürgen Habermas und legte auf.
    Das bestärkte Schmalenbach nur noch in seiner Haltung. Natürlich würden die etablierten Denker sich gegen den Paradigmenwechsel mit Zähnen und Klauen wehren. Die wissenschaftliche Gemeinschaft musste sich doch fragen, warum nicht einer dieser hoch dotierten Professoren darauf gekommen war, sondern Schmalenbach, der einfache, aber beharrliche Werbetexter aus dem Frankfurter Nordend, dessen Theorien über Gott und die Welt bisher niemand zur Kenntnis, geschweige denn ernst genommen hatte.
    Der geistige Fortschritt war eben eine Schnecke, auf deren Hinterteil die gesamte universitäre Elite Platz genommen hatte. Doch Schmalenbach konnte sich nicht mit den Eitelkeiten der Platzhirsche herumschlagen. Alles war eine Frage der Zeit – denn am Montag war sein Urlaub vorbei, und wenn Schmalenbach wieder ins Büro musste, fehlte ihm einfach die Muße zur Formulierung dessen, was in seinem Hirn tickte wie eine Zeitbombe.
    Schmalenbach brauchte einen Verbündeten – selbst die Relativitätstheorie hatte sich nicht aus sich selbst heraus durchgesetzt. Schmalenbach rief Manderscheid an.
    »Bei mir geht’s momentan ganz schlecht«, sagte der. »Ich bin auf dem Sprung nach St. Moritz.«
    »Was machst du in St. Moritz?«
    »Einen Workshop. Das Taxi wartet schon. Lass uns nächste Woche reden! Quatsch, nächste Woche fliege ich ja nach Okinawa. Wir wollen dort das Interesse für die deutsche Kleinkunst fördern. Ein ziemlich ehrgeiziges Projekt. Keiner von den mitreisenden Kleinkünstlern – es sind drei – spricht auch nur eine Silbe der Landessprache. Aber du weißt ja, solche Herausforderungen machen mich nur noch stärker …«
    »Deshalb rufe ich an, Manderscheid. Ich wollte dein Interesse auf ein Projekt lenken, das deine ganze Stärke erfordert …«
    »Bevor du weiterredest: Mein Taxifahrer hupt, hörst du’s?«
    Ja, Schmalenbach hörte es, aber das war nichts, was ihn jetzt noch aufhalten konnte. »Habermas und ich haben vor noch nicht mal einer Stunde über die Angelegenheit gesprochen. Wir meinen beide, dass du der richtige Mann bist, dieser Sache den nötigen Schwung zu geben.«
    Manderscheid atmete schwer. »Du hast mit Habermas über mich gesprochen?«
    »Nicht direkt über dich. Wie käme ich dazu, Habermas anzurufen, um mit ihm über dich zu sprechen? Hast du ’ne Ahnung, was der Mann am Hals hat?«
    »Klar, der sieht wahrscheinlich das Ende seines Schreibtischs nicht mehr vor lauter Rezensionsexemplaren«, antwortete Manderscheid andächtig.
    »Ich habe Habermas angerufen, um mit ihm über den Paradigmenwechsel zu sprechen …«
    Manderscheid hüstelte. »Ein Paradigmenwechsel? Interessant.«
    »Wenn einer diesen Paradigmenwechsel durchboxen kann, hat Habermas gesagt, dann Manderscheid.«
    Manderscheid schwieg. Der Taxifahrer hupte.
    »Du weißt, was es heißt, bei einem Paradigmenwechsel dabei zu sein?«, fragte Schmalenbach lauernd. »Zusammen mit mir, Habermas und Uli Wickert.«
    Manderscheid wurde unruhig. »Wickert ist auch dabei?«
    »Ich bin mir fast sicher, dass Habermas in dieser Sekunde mit ihm telefoniert und ihm Anweisungen für einen Hinweis auf den Paradigmenwechsel gibt.«
    Manderscheid dachte nach. »In den Tagesthemen?«
    »Wo sonst? Denkst du, Wickert ist so blöd, sein Pulver bei Kerner zu verschießen?«
    Manderscheid lachte tief. »Nee, der Wickert, der weiß genau, wie man’s macht.«
    »Also, Manderscheid, dann sind wir uns ja einig. Schick dein Taxi weg und …«
    »Bist du wahnsinnig? Die in St. Moritz warten darauf, dass ich den Workshop mit einem Referat über den Biorhythmus eröffne.«
    Schmalenbach wurde sehr nachdrücklich. »Heutzutage muss jeder Kulturschaffende wissen, auf welcher Hochzeit er tanzen will: Auf einem Ringelpietz in St. Moritz …«
    Manderscheid war empört. »Ich bitte dich! Ringelpietz? Es geht um Eurythmie und Massenmedien. Im Übrigen bin ich mir nicht sicher, ob ich bei einem Paradigmenwechsel, den Wickert in den Tagesthemen launig ankündigt, unbedingt dabei sein muss …«
    Das war ein harter Schlag. Schmalenbach brauchte eine Weile. »Vergiss Wickert! Vergiss Habermas!«, sagte er dann ruhig. »Manderscheid, bei diesem Paradigmenwechsel gibt es nur zwei Leute, die wirklich wichtig sind. Du, Manderscheid, denn du hast die Power. Und ich, weil ich

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