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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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R 2.
    »Sag mal, wo bleibst du denn?«, plapperte Elke sofort los. »Ich sitze hier schon geschlagene fünf Minuten beim Frisör und warte auf dich. Bist du eingenickt oder quatschst du mal wieder mit Pfeifenberger? Wenn du nicht in drei Minuten mit dem Wagen vor dem Salon stehst, nehme ich mir ein Taxi, und du zahlst die Rechnung …«
    Schmalenbach holte mit R 1 Manderscheid zurück.
    »Aber ich halte dich bloß auf, dein Taxi wartet, und ich rede und rede.«
    »Du musst mir noch in zwei, drei Sätzen das Inhaltliche umreißen. Die sachliche Substanz deines Paradigmenwechsels. Ich könnte in St. Moritz mit Nidda-Rümelin darüber reden …«
    »Weisst du, ich bin mir gar nicht mehr so sicher, ob die Zeit wirklich reif ist …«
    »Schmalenbach, wir machen das! In Okinawa improvisiere ich eine Pressekonferenz am Rande der deutschen Kleinkunst und gebe schon mal die Eckwerte bekannt.«
    Schmalenbach tat skrupulös. »Bevor ich eine breite Öffentlichkeit damit konfrontiere, möchte ich alles noch einmal gründlich durchdenken – bis du aus Ottawa zurück bist.«
    »Aus Okinawa! Schmalenbach, einen Paradigmenwechsel darf man nicht auf die lange Bank schieben.«
    Schmalenbach brach der Schweiß aus. Er schaute auf die Uhr, er hatte noch genau vier Minuten Zeit. »Da ist jemand an der Tür«, flötete er und legte auf.
    Schmalenbach schaffte es gerade noch. Elke stand schon am Bordstein und hielt nach einem Taxi Ausschau.
    »Wo warst du?«, fragte sie, als sie einstieg.
    »Es ging um einen Paradigmenwechsel, ziemlich wichtige Sache«, antwortete er.
    »Schon wieder!«, sagte Elke und rollte die Augen.
    »Also deine Frisur, die ist diesmal wirklich gelungen«, sagte Schmalenbach schnell.
    Das gefiel Elke – und sie verzieh ihm, dass er sie hatte warten lassen.
    Schmalenbach atmete auf. Er hatte das Gefühl, wieder mal haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt zu sein.

Der Kick
     
    Pfeifenberger sah in letzter Zeit wirklich blendend aus. Dem Cartoonisten schien es unverschämt gut zu gehen. Schmalenbach freute sich für seinen Freund. Keiner wusste besser als er, welche dunklen Tage Pfeifenberger schon durchlebt hatte. Tage des Zweifels, ja der Verzweiflung.
    Nur hätte auch Schmalenbach gerne gewusst, was den überschuldeten, permanent in Schaffenskrisen steckenden und zwischenmenschlich schwierigen Pfeifenberger in diese ungewohnte Hochstimmung versetzt hatte. »Dir geht’s gut, was?«, fragte er ihn.
    »Kann man so sagen.«
    »Ein Großauftrag?«
    »Ich bin Künstler, kein Fassadenreiniger.«
    »Also eher ein privater Auftrieb?«
    »Du weißt ja, ich bin ein ganzheitlicher Mensch.«
    Mehr war beim besten Willen nicht aus Pfeifenberger herauszubekommen. Schmalenbach fand das unverschämt. Hatten sie nicht immer ihr Los geteilt? Hatte er nicht an langen Abenden die Jammerlieder seines Freundes ertragen und ihm gut zugesprochen? Hatte er nicht zu ihm gehalten, als Pfeifenberger Carola und die sechs Kinder hatte verlassen wollen, um sich in Offenbach unter einem anderen Namen eine neue Existenz aufzubauen?
    Schmalenbach war enttäuscht von seinem Freund. Tief enttäuscht. Deshalb tat er etwas, das er noch nie getan hatte: Er machte Anstalten, zur Theke zu wechseln.
    Pfeifenberger folgte ihm. »Komm schon, ich sag’s dir.«
    Typisch Pfeifenberger. Er konnte kalt sein wie eine Hundeschnauze, wenn man ihn bestürmte. Aber er wurde heiß wie eine läufige Hündin, wenn man ihn links liegen ließ.
    »Versprichst du, dass es unser großes Geheimnis bleibt? Es geht nämlich um Sex.«
    Schmalenbachs Schläfen pochten. »Keine Menschenseele erfährt etwas.«
    Pfeifenberger war immer für eine Perversion gut. Er befand sich seit Jahrzehnten auf der Suche nach dem letzten Kick. Er ließ auch jetzt noch nichts aus, weit über die vierzig.
    Schmalenbach war anders, ganz anders. Er hatte die Jagd längst abgeblasen. Er hatte das große Buch der Abenteuer geschlossen. Aber er blieb dennoch neugierig darauf, was derzeit geleistet wurde. »Willst du etwa deine transsexuellen Träume verwirklichen?«
    Pfeifenberger winkte ab. »Heutzutage lässt sich doch jeder Bauarbeiter umwandeln.«
    »Geht es um, du weißt schon, eine junge Frau?« Pfeifenberger meinte, die wären undankbar.
    »Sado-Maso?« Pfeifenberger sagte, Peitschen und Nietengürtel seien nichts für Pazifisten.
    »Du hast dich doch nicht etwa in Gefilde verirrt, die illegal sind?«, fragte Schmalenbach.
    Da brach es aus Pfeifenberger heraus. »Es ist ganz einfach.

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