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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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könntest jetzt deine Stimme für die Wahl am Sonntag abgeben.«
    »Das politische System der BRD ist zutiefst undemokratisch«, sagte sie. »Das ist mir heute Morgen klar geworden. Keine Partei bekommt meine Stimme.«
    Dem Läuten des Telefons merkte man an, dass es das letzte war. Schmalenbach sprang hin und hob ab. Ein schweres Stöhnen. Pfeifenberger machte seine Sache gut.
    »Ich verstehe«, sagte Schmalenbach laut. »Sie wollen meine Frau.«
    Er hielt Elke den Hörer hin. Missmutig nahm sie das Gespräch an. Aber das Eis war sofort gebrochen. Sie hörte gebannt zu. Pfeifenberger war eben ein Könner.
    Elke lächelte versonnen. So einfach funktionierte die weibliche Psyche. Man brauchte nur die griffige Formel. Schmalenbach und Pfeifenberger – sie hatten diese Formel.
    »Sagen Sie das noch mal!«, bettelte Elke. Hoffentlich übertrieb Pfeifenberger nicht, der Mann war genial, aber es fehlte ihm der Sinn für das richtige Maß.
    »Vielen Dank«, hauchte Elke. »Und rufen Sie doch wieder an! Bei Gelegenheit.«
    Sie war völlig aufgekratzt, als sie auflegte. Ein Segen, eine Frau zu haben, die so leicht zu handhaben ist, dachte Schmalenbach noch.
    »Das war unser Hausmeister«, begann sie nach einer kleinen Ewigkeit. »Er hat heute Morgen fieberhaft versucht, dich telefonisch zu erreichen. Jemand wollte, dass du deinen Wagen vor seiner Einfahrt wegfährst. Aber du bist ja nicht rangegangen. Also wurde dein Wagen – abgeschleppt.« Sie brach in ein infernalisches Lachen aus: böse und schadenfroh.
    Das würde teuer werden. Schmalenbach brauchte einen Schnaps. Wieder klingelte das Telefon. Diesmal ging sie selbstverständlich ran – wie immer. Sie meldete sich und gab wenig später Schmalenbach den Hörer. »Für dich.«
    »Und jetzt hör mir gut zu, du arrogantes Biest: Ich bin völlig nackt, und ich stelle mir vor, du würdest …«, sagte Pfeifenberger mit verstellter Stimme. Er keuchte. »Du würdest …«
    »Falsch verbunden«, sagte Schmalenbach und legte auf.

Traumhilfe
     
    Als Germersheimer zur Toilette ging, sagte Pfeifenberger:
    »Blass sieht er aus.«
    »Der sieht doch immer blass aus«, entgegnete Schmalenbach.
    »Er kaut an den Fingernägeln«, seufzte Pfeifenberger.
    »Quatsch. Du suchst nur mal wieder jemanden, dem es schlechter geht als dir.«
    »Fass dich an der eigenen Nase, Schmalenbach!«
    »Siehst du: Schon wieder.«
    »Sexuell frustriert«, leierte Pfeifenberger und streckte bei jedem Programmpunkt einen weiteren Finger. »Beruflich in einer Sackgasse. Kreativ ausgebrannt. Politisch orientierungslos. Moralisch am Ende.«
    Schmalenbach wurde laut. »Du hast es gerade nötig, Pfeifenberger. Jemand, der seit Jahren für Metzgerzeitungen Schweinsköpfe mit Würsten um den Hals zeichnet. Deine letzte Ausstellung ist jetzt fünf Jahre her. Das war in der Filiale einer Inkassofirma.«
    In diesem Augenblick kam Germersheimer zurück, nahm wieder Platz und kaute an den Fingernägeln. Die beiden Freunde starrten ihn an. Germersheimer schaute weg.
    »Ist es wegen deiner Frau?«, fragte Schmalenbach vorsichtig. »Vermisst du sie?«
    Germersheimer putzte sich verstohlen eine Träne weg.
    »Was du brauchst, ist harter, kompromissloser Sex mit einer Wildfremden. Atemlos, in einem dunklen Hauseingang«, bestürmte ihn Pfeifenberger. »Danach geht’s dir besser.«
    Germersheimer trank einen tiefen Schluck, wischte sich den Schaum von den Lippen und sagte: »Ich bin ja so unglücklich.«
    Schmalenbach tat der Freund leid. »Hör mal«, sagte er ernst. »Ich kenne das. Unglücklich sein. Davon kann man krank werden. Germersheimer, du solltest jetzt den entscheidenden Schritt tun. Du solltest eine Psychoanalyse machen …«
    »Ich mache eine Analyse«, unterbrach ihn Germersheimer unwillig. »Deshalb bin ich ja unglücklich.«
    »Dann machst du irgendwas falsch«, tönte Pfeifenberger vollmundig. »Wichtig ist vor allem rückhaltlose Ehrlichkeit. Ich zum Beispiel sage meiner Analytikerin alles.«
    »Auch, dass du lieber eine Frau wärst?«, fragte Schmalenbach.
    Pfeifenberger errötete. »Nicht so laut!«, zischte er.
    »Das ist nicht mein Problem«, sagte Germersheimer.
    »Es ist etwas anderes. Ich weiß nicht, was ich meiner Analytikerin sagen soll. Alles, was wichtig ist, haben wir in fünf Minuten abgehakt. Seither quälen sich die Sitzungen dahin. Mir ist klar geworden, dass mein Leben bisher vor allem eines war: uninteressant. Ich habe mir Bücher besorgt. Über berühmte Analysen. Inzestängste.

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