Die Schlüssel zum Königreich 01 - Schwarzer Montag
Licht, das die Szenerie erhellte.
»Hübsch, nicht wahr?«, sagte eine Stimme hinter Arthur. Die Stimme eines Mannes, tief und ruhig. Nichts Bedrohliches lag darin; es war die Sorte von Bemerkung, die jeder an einem Aussichtspunkt zu einem anderen Betrachter hätte machen können.
Arthur erschrak und wäre beinahe wieder hingefallen, als er herumfuhr, um zu sehen, wer gesprochen hatte. Aber alles, was er erblickte, war eine gewaltige freistehende Tür aus dunkel glänzendem Holz zwischen großen Türpfosten aus weißem Stein, die auf dem Gipfel des Hügels stand. Tür war wohl nicht das passende Wort, dachte Arthur; es war wohl eher ein Tor, da es mindestens drei- oder viermal so groß war wie das Garagentor seiner Eltern.
Die Tür war mit schmiedeeisernen Weinranken und raffinierten Schnörkeln verziert, die unterschiedliche Muster und Bilder erzeugten, abhängig vom Standpunkt und Blickwinkel des Betrachters. Es war in etwa wie ein Vexierbild: Nach wenigen Sekunden erkannte Arthur einen Baum, der zu einem Seepferdchen wurde, wenn er den Kopf etwas neigte, und der Schwanz dieses Pferdchens konnte auch ein Komet sein, der von Sternen umgeben war, welche gemeinsam ein Schiff formten …
Arthur blinzelte, und schon sah er völlig andere For men und Bilder. Er blinzelte noch einmal und riss sich von dem Anblick los: Diese Tür war gefährlich. Er spürte, dass die Muster seine Aufmerksamkeit auf ewig an sich reißen konnten.
Und wo war die Person … oder was immer es war … die ihn angesprochen hatte? Er schaute sich um und sah weiter nichts, nur den kahlen Hügel und die Tür. Eine gewaltige Tür, allein und einsam, die nirgendwohin zu führen schien.
Arthur ging um sie herum und stellte ohne Überraschung fest, dass die andere Seite völlig gleich aussah. Vielleicht war die Tür eine Art von Skulptur, dachte er; nur hier, um einem künstlerischen Gedanken Ausdruck zu verleihen. Aber im Grunde genommen wusste Arthur, dass, sollte die Tür sich öffnen, er auf der anderen Seite nicht mehr den Hügel sehen würde.
»Schichtwechsel in einem Moment«, sagte die Stim me. »Dann wirst du etwas sehen, was sich wirklich lohnt!«
»Wo sind Sie?«, fragte Arthur.
»Wo?«, echote die Stimme. Sie klang überrascht. »Ah! Nicht genau … warte einen Augenblick … einen Schritt nach links …«
Die Eisenornamente an der Tür schimmerten, und die Muster bildeten den Umriss eines Mannes. Dann trat der Umriss aus der Tür heraus. Das eiserne Flechtwerk wur de zu Fleisch und Blut, und vor Arthur stand ein hochgewachsener, gelassen wirkender Mann, der ungefähr im Alter von Arthurs Vater, Bob, zu sein schien, obwohl er langes weißes Haar hatte, das ihm bis über die Schultern fiel. Wie Herr Montag, Nieser und Mittag trug er ausgesprochen altmodische Kleidung, nämlich einen blauen Frack mit goldenen Knöpfen und einer einzelnen goldenen Epaulette auf der linken Schulter, ein schneeweißes Hemd, braune Kniebundhosen und glänzende, bis zu den Knien reichende Stiefel mit nach oben gebogenen Spitzen. In seiner linken Hand befand sich ein Schwert, das in seiner Scheide steckte und das er lässig unterhalb des Heftes hielt. Zwei goldene Troddeln fielen über sein Handgelenk. Es sah nicht aus, als ob er die Waffe ziehen wollte.
»Verzeihung!«, sagte die Gestalt. »Manchmal verges se ich meine Manieren! Ich bin der Leutnant Hüter der Vorderen Tür. Gestatte mir, den Träger des Geringeren Schlüssels des Unteren Hauses zu begrüßen!«
Er nahm Habt-Acht-Stellung ein und salutierte, dann hielt er Arthur die Hand hin.
»Arthur Penhaligon«, sagte Arthur. Automatisch schüttelte er die dargebotene Hand. Die Haut von Leut nant Hüter fühlte sich seltsam glatt und kühl an, ohne aber abstoßend zu wirken. Arthur war darauf bedacht, den Schlüssel in die linke Hand zu nehmen und gut festzuhal ten, während er sich fragte, warum diese merkwürdige Erscheinung ihn den »geringeren Schlüssel« genannt hat te.
»Wo bin ich hier?«
»Nun, im Unteren Atrium des Hauses«, antwortete Leutnant Hüter. »Auf dem Türstopper-Hügel.«
»Gut«, erwiderte Arthur. Er wollte gerade eine weitere Frage stellen, tat es aber nicht, weil eine blendende Lichtsäule ihn völlig ablenkte, die plötzlich vom Fuß des Hügels emporschoss und bis unter die Decke des Kuppeldachs stieg. Im selben Moment stieß von oben ein breiter Strahl herab, und dann tanzte eine Vielzahl solcher Strahlen auf und ab, als wären an Decke und Boden hunderte oder
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