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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Sack. Dann wurde sie aus der Hütte hinausgestoßen und ihr wurden die Augen verbunden. Er drehte sie eine Weile im Kreis herum und zog sie dann am Arm hinter sich her.
     
    Es ging auf den Eschenberg, das spürte Inga auch trotz des Schwindels und trotz der verbundenen Augen. Jeder Stein, jede Pfütze, jeder Steg und jeder Stock waren ihr bekannt. Doch das musste der Waldgeist, welcher nur allzu menschliche Züge aufzuweisen schien, ja nicht wissen. Denn ein Zauberwesen, das furzte, rülpste und drei Mal in einer Stunde, die sie unterwegs waren, mit einem lauten Strahl Wasser lassen musste, konnte es nicht geben. Vielleicht war er tatsächlich ein Mensch aus Fleisch und Blut, ganz so, wie auch Bruder Agius es vermutet hatte.
    Irgendwann führte ihr Weg sie durch Dornen und Gestrüpp, über Baumwurzeln und Baumstämme, weg von den Pfaden und hinein in einen dichten Wald. Welcher Wald genau es war, vermochte sie nicht zu sagen. Doch sie hatten eindeutig den Grubebach überquert, waren den Hilgerschen Berg hinaufgegangen und über die Ebene hin zum Eschenberg geschritten. Diesen, höher gelegen als der Hilgersche Hügel, hatten sie ebenfalls erklommen und waren nun in eines der spärlichen, aber dichten Waldgebiete am Südrand des Berges eingedrungen. So vermutete sie jedenfalls.
    Endlich nahm er ihr die Augenbinde ab. Aber das nützte Inga nur wenig, da es in dieser Nacht stockfinster war. Dichte Wolken verhingen Mond und Sterne, ein bereits frostiger Wind wehte. Doch ganz so, als handele es sich um die Behausung von Waldzwergen, schien tatsächlich aus einer kleinen Baumwurzelhöhle ein gelbes Licht zu leuchten. Es war nur schwach, aber
in dieser absoluten Finsternis wirkte es wie der warme Sonnenstrahl nach einem düsteren Gewitter.
    Gerade hatte sie diese Öffnung entdeckt, da wurde sie auch schon hineingestoßen. Ein übler Gestank kam ihr entgegen, und gleichzeitig vernahm sie das leise Stöhnen eines Mannes.
    Auf allen vieren kroch sie voran, konnte sich aber alsbald aufrecht hinstellen. Es war ein Grubenhaus, das sich da hinter dem Wurzeleingang verbarg, und in diesem Grubenhaus lag Ansgar. Gefesselt und geknebelt.
    »Schau nach ihm und sieh zu, dass er nicht stirbt.«
    Der Weiße war ebenfalls in den Unterschlupf gekrochen und hockte sich nun in eine der hinteren Ecken, Inga die ganze Zeit scharf im Auge behaltend.
    »Kein Wort redet ihr miteinander. Kein einziges Wort. Sonst töte ich dich, Weib. Auf der Stelle.«
    Inga strich Ansgar das verschwitzte Haar aus dem Gesicht. Schön sah er aus, wie er so dalag, sein blasses Gesicht, der wohlgeformte Mund und die heute etwas trüben grauen Augen, mit denen er Inga nun so hilflos ansah. Von ihm hatte sie nichts zu befürchten, er würde seine Hände bei sich behalten, sie nicht packen, schlagen oder sonst etwas mit ihr anstellen. Er war harmlos, vollkommen harmlos, und sie sollte ihm helfen.
    Warum nur?
    Wieso durfte er nicht sterben?
    Weshalb war er dennoch so schwer verwundet?
    Die Wunde in Ansgars Schulter war tief, aber nicht tödlich. Der Knochen schien gesplittert, aber nicht durchtrennt worden zu sein. Einen Großteil des Schlages musste ein dicker Ledergurt abgefangen haben, der sich nun jedoch blutig in die Wunde bohrte und unbedingt entfernt werden musste.
    »In allem, was nicht von uns selber kommt, stecken Würmer drin«, hatte Ingas Großmutter immer gesagt.

    Inga wusste nicht, ob das stimmte, aber besser war es, diesen Lederriemen aus der Schnittwunde herauszuziehen, auch wenn das ein jämmerliches Geschrei nach sich ziehen würde.
    »Hast du sauberes Wasser hier, alter Mann?«, fragte sie, ohne sich nach dem Angesprochenen umzudrehen.
    »Du sollst nicht reden«, knurrte dieser. »Dort in dem Kübel, unmittelbar neben dir, du blindes Huhn.«
    Inga zog mit einem Ruck das blutige Leder aus Ansgars offener Schulter. Zu ihrer Überraschung schrie er nicht, tapfer wollte er sein. So war er halt, der mutige Krieger Ansgar.
    Sie nahm den Beutel, den sie mit sich genommen hatte. Darin befand sich ein Töpfchen mit dem Extrakt des Seifenkrautes. Inga löste ein wenig davon in Wasser auf und wusch mit einem sauberen Leinentuch, das sie ebenfalls bei sich führte, die Wunde sorgfältig aus. Wieder biss Ansgar auf den Knebel. Inga blickte ihn scharf an und rieb ein wenig fester in der Wunde herum. Endlich war ein Schmerzenston zu hören.
    »Ruhe«, rief es von hinten.
    »Nadel und Faden brauche ich«, antwortete sie scharf, den Kopf leicht nach hinten

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