Die Schluesseltraegerin - Roman
aber als sie sie einen Spaltbreit aufstieß, strömte ihr bereits ein vertrautes Gemisch aus beißendem Qualm, dem Geruch von allerlei Gekochtem und ungewaschenen Menschenkörpern entgegen. Letzteres nahm sie besonders stark wahr, weil dieser Gestank nicht von dem Geruch der Tiere übertüncht wurde,
welche im Regelfall zusätzlich in den Behausungen der Menschen untergebracht waren.
Inga betrat die leere, düstere Stube.
»Tür zu! Es wird kalt«, vernahm sie eine brummende Stimme aus dem Dunkeln. Schnell schloss sie die schwere Holztüre hinter sich und konnte kurzzeitig gar nichts erblicken.
Im mittleren Drittel der breiten Stube brannte ein Feuer, der einzige Lichtblick in diesem Raume. Und über dem Feuer hing ein enormer dampfender Kessel. Der Qualm stach Inga in den Augen und ließ diese zu tränen beginnen. Hier in diesem Hause gab es nicht einmal ein winziges Loch im Dach, durch das dieses stinkende Übel und dieser zugleich wärmende Segen hätte entweichen können. Es gab keine Kühe und Pferde, keine Ziegen und Schafe hier, die mit ihren dampfenden Körpern Wärme hätten spenden können, und so hatte man sich offenbar dazu entschieden, dem Qualm als einziger Heizquelle keine Möglichkeit zum Entweichen zu bieten.
Sobald ihre Augen sich an Dunkelheit und Rauch gewöhnt hatten, konnte Inga sich im Raume umschauen. Er war aufgeteilt in drei Bereiche. Vorne standen Bänke und schmale Holztische, in der Mitte war die Feuerstelle sowie Raum für zahlreiche Säcke, Kisten, Fässer und andere Vorräte, und im hinteren Bereich, soweit Inga das ausmachen konnte, waren Bänke und Nischen, in denen tatsächlich zahlreiche Leute eine Bettstatt finden konnten.
Doch offensichtlich war niemand da, nicht zum Trinken, nicht zum Essen und auch nicht zum Schlafen. Allein ein dicker Mann saß gleichgültig am Feuer, und bei ihm lag ein schlafender Hund. Anders als sein Herr war dieser spindeldürr.
»Was suchst du, Frau?«
»Mein Name ist Hilda. Ich bin Witwe von einem der entfernten Höfe. Mein Haus ist abgebrannt. Ich habe keine Familie
mehr, die sich meiner annehmen könnte. Deshalb bin ich hierher nach Huxori gezogen und frage nun dich, guter Mann, ob du mich beschäftigen kannst. Ich bin kräftig und fleißig und erwarte für meine Arbeit lediglich Nahrung und einen warmen und trockenen Schlafplatz.«
»Du siehst doch, dass hier nichts zu tun ist. Im Winter kommt keiner. Keine Reisenden, keine Händler und auch keine Edlen, die das Kloster besuchen und ihre Gefolgschaft hier unterbringen. Niemand, niemand außer einer Handvoll Trunkenbolden, die am Abend erscheint und ihre Zeche nicht zahlt. Kein Geschäft im Winter, keine Arbeit für mich und erst recht keine für dich.«
Bei diesen Worten, die er eintönig vor sich hingebrummt hatte, hatte er Inga nicht ein einziges Mal angeschaut. Diese hingegen hatte ihren Blick schweifen lassen und eine Unmenge an Rauchfleisch, ganzen Schinken und mächtigen Würsten an der Decke hängen sehen.
»Ich sehe, du hast genug zu essen und auch leere Bettstätten. Warum darf ich nicht bleiben? Die Arbeit einer Frau wäre in diesem Hause vonnöten. Und wer weiß? Vielleicht belebt es auch das Geschäft.«
Jetzt erst blickte er sie an.
»Willst du dich etwa hergeben oder was? Huren haben wir hier genug. Auf einen Händler kommen gleich zwei, und dazu sind sie allesamt jünger als du.«
»Das meinte ich nicht.«
»Was dann? Soll ich dich zur Frau nehmen? Nein, Weiber hatte ich schon zwei. Beide sind sie mir zum Glück gestorben, denn eine war schlimmer als die andere. Drei garstige Dinge gibt es im Haus: Rauch, ein undichtes Dach und ein böses Weib. Rauch und Nässe sind bereits da, ein böses Weib sollte mir noch fehlen.«
»Und wenn tatsächlich eine ganze Gefolgschaft eines fränkischen Edlen hier Quartier bezieht, dann bewältigst du die Arbeit ganz alleine, guter Mann?« Inga wollte nicht aufgeben.
»Nein, es gibt genügend bettelarme Witwen in diesem Ort, die gerne helfen, wenn Hilfe benötigt wird und der eine oder andere Happen für sie und ihre ewig hungrige Bälgerschar dabei abfällt. Ich brauche dich nicht, und jetzt verschwinde.«
Bei diesen Worten griff er sich ans Bein, und Inga erkannte im flackernden Schein der nahen Flamme, dass der Leinenstoff seiner Hose am rechten Schienbein dunkel verfärbt war.
»Hast du dort etwa eine nässende Wunde?«, fragte sie, auf die Gefahr hin, ihm weiter auf die Nerven zu fallen.
»Was geht dich das an?«
»Ich könnte
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