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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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die sich so rührend um ihre Kinder kümmerte.
    Nachdem sie den alten Ulrich zu seinem Lager begleitet, ihm noch einen warmen Becher Brennnesselwein gereicht und sich von ihm eine Geschichte aus dem Leben der Götter hatte erzählen
lassen, ging auch sie zu ihrem Teil der Schlafbank. Aber einschlafen konnte sie die ganze Nacht über nicht.
    Doch nicht nur für Inga, für alle wurde es schließlich eine unerwartet kurze Nacht. Denn lange vor dem Morgengrauen erwachten sie durch ein entsetzliches Geschrei. Schlaftrunken, wie sie waren, konnten sie es sich zunächst nicht erklären. Ulrich rief, Unholde trieben ihr Unwesen auf dem Hofe, und alle seien nun des Todes. Die Zwillinge kreischten, eine Räuberbande sei aus dem Wald gekommen, um Jungfrauen zu stehlen. Inga war froh, dass sie in dieser Nacht nicht allein im Grubenhaus schlief. Es war entsetzlich, dieses Gebrüll, aber je länger sie lauschte, desto deutlicher konnte sie heraushören, dass es von Tieren herrührte: Schafe oder Ziegen im Todeskampf.
    »Wölfe!«, schrie Ansgar, sprang auf, und in Windeseile waren er, Gernot und die beiden Knechte mit Fackeln und Speeren bewaffnet zur Tür hinaus. Ada lief ihnen bis zur Türe nach und verriegelte diese umgehend, damit die schrecklichen Untiere nicht noch den Weg ins Haus fanden, um sich die Kinder zu holen.
    Es dauerte nicht lang, da waren die Männer zurück.
    »Wir haben sie vertrieben. Ansgar hat gleich drei erlegt«, rief Gernot völlig außer Atem. »Es war ein ganzes Rudel, und sie haben eine Ziege und zwei Schafe gerissen. Zwei weitere Schafe sind so sehr verwundet, dass wir sie wahrscheinlich morgen notschlachten müssen.«
    »Wer hat die Stalltür aufgelassen?«, sagte Ansgar grimmig.
    Ein unglaublicher Schreck durchfuhr Inga, und alle Augen richteten sich mit einem Mal auf sie. Denn sie allein war für die Schafe und Ziegen zuständig. Inga dachte angestrengt nach. Sie hatte sie am Abend ganz gewiss gefüttert. Und sie war sich sicher, die Stalltür verriegelt zu haben. Sie machte das immer, es war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
    Oder war sie an diesem Abend zu verwirrt gewesen?

    Hatte sie das Gespött der Zwillinge zu sehr durcheinandergebracht?
    Spukten Utas Haare zu sehr in ihrem Kopf herum?
    Nein – sie hatte die Tür gewiss verriegelt.
    Jetzt fiel es ihr wieder ein. Geflucht hatte sie, weil ihr der Holzriegel aus der zittrigen Hand in den tiefen Schnee gefallen war und sie in der Dunkelheit danach wühlen musste. Doch schließlich hatte sie ihn gefunden und durch die Ösen geschoben. Die Tür war sicher und fest verschlossen gewesen.
    »Ich war am frühen Abend im Stall, habe die Tiere gefüttert und beim Hinausgehen den Riegel vorgeschoben«, sagte Inga mit bebender Stimme.
    »Das kann jeder behaupten«, zischte eine der Zwillinge, und als sie dann beide anfingen, leise zu kichern, fiel es Inga wie Schuppen von den Augen.
    »Ich war es nicht. Ich nicht«, sagte sie schließlich und schaute die Schwestern dabei giftig an.
    »Wir werden morgen darüber sprechen«, brummelte Ansgar finster und gebot allen, sich wieder schlafen zu legen.
     
    Inga war schon früh auf den Beinen und erwartete sehnsüchtig den Sonnenaufgang. Als es endlich hell war und sie die ihr am Morgen obliegende Hausarbeit verrichtet hatte, ging sie hinaus zum Schafstall. Die Männer waren schon dort, um die verwundeten Tiere zu versorgen.
    »Was willst du hier?«, fragte Ansgar mürrisch. Nichts an ihm erinnerte sie noch an ihre gestrige Begegnung zwischen Quelle und Schweinestall.
    »Ich möchte sehen, was passiert ist«, antwortete Inga und untersuchte den schneebedeckten Boden vor dem Schafstall.
    Der Schnee war aufgewühlt von den vielen Spuren der Wölfe, Schafe und Männer, die dort in der letzten Nacht herumgelaufen
waren. Blutige Schleifspuren führten aus dem Stall heraus bis hin zu einer Stelle unweit des Grubenhauses, wo drei tote Wölfe nebeneinander lagen. Die erlegten Schafe und die Ziege hingen bereits an der Außenwand des Holzschobers und wurden von einem der Knechte ausgenommen.
    »Was starrst du so auf dem Boden herum? Hast du nichts Besseres zu tun?« Plötzlich stand er neben ihr.
    »Ich war es nicht«, sagte Inga leise.
    »Wer sonst?«
    »Schau dort, da neben der Türe. Da sind noch Spuren im Schnee zu erkennen. Das da ist meine.« Und sie setzte ihren Fuß darauf, um ihm zu zeigen, dass er genau in die Spur passte.
    »Und die da, sieh her, die sind frischer und an dieser Stelle sogar über meiner

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