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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Neumann
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Wärme ausgemalt. Dann jedoch hatte sie auch wiederholt an die Begegnung mit den Zwillingen denken müssen und an Utas Haare.
    Die Dunkelheit hatte sich bereits über den verschneiten Hof gelegt, und als Inga, nachdem sie Schafe und Ziegen versorgt hatte, das nur spärlich von Kienspänen und dem Ofenfeuer beleuchtete Langhaus betrat, schlug ihr außer der beißenden, rauchigen Luft nichts entgegen.
    Keine Wut, keine bösen Blicke, keine argwöhnischen Worte. Alle wirkten gleichgültig, niemand kümmerte sich um Ingas Erscheinen, und das ließ sie erleichtert aufatmen. Als wäre nichts vorgefallen, saßen die Zwillinge in ihrer Ecke und gingen einer stummen Beschäftigung nach. Auch als die verhasste Witwe ihres ältesten Bruders an ihnen vorüberschritt, mit verstohlenem Blick nach einem Holzeimer griff und dann wieder in die dunkle Kälte des Winterabends verschwand, ließen sie keinerlei Regung erkennen.
    Ungewöhnlich – verdächtig und sehr ungewöhnlich, dachte Inga bei sich, während sie, den leeren Eimer in der Hand, den schmalen, freigeschaufelten Pfad hin zur Quellmulde entlangging.
    Dort angekommen, sprudelte unter dem knietiefen Schnee
das Quellwasser hell und klar. Ein schöner Anblick war das, sauber, frisch und rein. Der fast volle Mond warf sein Licht auf die weiße Erde, sodass alles funkelte und glitzerte, ganz wie in einer fernen, verwunschenen Zauberwelt.
    Lange hockte Inga vor dem plätschernden, kristallbehangenen Loch und konnte sich nicht überwinden, den groben Holzkübel dort hineinzutauchen, um Wasser für die Linsensuppe zu gewinnen. Schließlich tat sie es doch, zerstörte damit das fast himmlische, kleine Reich und ging, den schweren Eimer schleppend, zum Haus zurück.
    Dabei – und das hatte ihr gerade noch gefehlt – kam ihr ausgerechnet Ansgar auf dem schmalen, ja viel zu schmalen Pfad entgegen. Er war auf dem Weg zum Schweinestall, wo er nach einer kranken Sau schauen wollte.
    Inga versuchte sich an ihm vorbeizuschlängeln, aber der ausgeschaufelte Pattweg, an dessen Rändern sich mehr als hüfthoch der Schnee türmte, ließ dies nicht zu.
    So standen sie sich also in der vom weißen Schnee beleuchteten Dunkelheit dieses Januarabends gegenüber, und Inga fürchtete sich vor den Beschimpfungen, die sie nun über sich ergehen lassen müsste. Wahrscheinlich würde er sie sogar davonjagen, denn dass die Schwestern alles erzählt hatten, war nicht nur anzunehmen, sondern Gewissheit.
    Er sagte jedoch gar nichts, ging aber auch nicht fort, machte ihr keinen Platz, damit sie sich an ihm hätte vorüberschleichen können. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und mit einem Mal begann ihr Herz wie wild zu klopfen.
    »Ich weiß, was du mir sagen willst«, sagte sie schließlich leise, kaum hörbar. »Ich war wütend und bereue meine Worte.«
    Aber er lachte nur äußerst merkwürdig.
    Jetzt begriff Inga, was sie innerlich bereits geahnt, ja befürchtet hatte, und schaute ihn mit großen Augen an.

    Langsam kam er ihr noch näher, und als sie instinktiv einen Schritt zurückweichen wollte, fasste er sie fest an beiden Oberarmen und zog sie zu sich heran. Er begann sie zu küssen, sehr stürmisch, so stürmisch, dass sie fast keine Luft bekam – und obwohl Inga bisher fest davon überzeugt war, ihn aus tiefster Seele zu hassen, gefiel es ihr. Ja, es gefiel ihr sogar ausgesprochen gut. Sie ließ den Eimer fallen und schlang ihrerseits die Arme um seinen Hals.
    So standen sie da, mehrere Augenblicke, und wer weiß, was hier draußen in der eisigen Dunkelheit noch weiterhin geschehen wäre, wenn das plötzliche Heulen der Wölfe im nahen Wald nicht mit einem Mal die beiden hitzigen Gemüter abgekühlt hätte. Wie aus einem Traum erwacht, ließen sie voneinander ab, beide peinlich berührt.
    »Hol neues Wasser und geh wieder rein«, befahl Ansgar im herkömmlichen Ton. Dann setzte er seinen Weg zum Schweinestall fort.
     
    Anders als erwartet, verlief der restliche Abend wie jeder andere Winterabend zuvor.
    Nachdem die Röte aus Ingas Gesicht gewichen, das Abendessen bereitet, der Tisch gedeckt und das Mahl schließlich beendet war, suchten alle ihre Schlafstatt auf. Ansgar hatte sie nicht einmal angeschaut, kein einziges Wort mit ihr gesprochen, und die Zwillinge hatten gut gelaunt an ihrem Platz gesessen und verhältnismäßig wenig miteinander geredet. Inga hatte immer wieder verstohlen zu Ada blicken müssen. Ein schlechtes Gewissen plagte sie, die unwissende Frau tat ihr leid, die arme Ada,

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