Die Schmerzmacherin.
die Schottolas überlegten, das obere Stockwerk zu vermieten. An so etwas hatte vor 2 Jahren niemand gedacht. Oder war es die Sorge um die Tante Trude. Und die Kosten. Gab es Kosten, bei so einer Krankheit. Sie hatte gedacht, in Österreich zahle die Krankenkasse die Kosten einer Krebserkrankung. Aber sie wusste nicht, wie das dann wirklich war. Sie überlegte, Dominik zu fragen. Diesen offenen, freundlichen, weltgewandten Dominik, der ihr gegenübersaß. Der offenkundig nicht so viel zu tun hatte. Der dasaß, als würde er noch Stunden mit ihr reden wollen. Seine Ruhe machte sie unruhig. Sie musste zurück. Das Auto. »Nein. Ich will dich nicht ausfragen.« sagte er und legte seine Hand auf ihre. Er wüsste ja von ihrer Pflegemutter. Von deren Krankheit. Und er fände es toll, dass sie die besuche. Sie hätte ja sicherlich andere Möglichkeiten. Andere Gelegenheiten. Eine Frau, die so aussähe wie sie. Die in Kürze auch noch reich sein würde. Man beobachte diese Situation mit der Restitution sehr genau in seiner Familie. Sein Großonkel hätte damit direkt zu tun gehabt. Aber ebendeshalb fände er es großartig von ihr, dass sie bei den Schottolas zu Besuch sei. »Großartig.« Er sagte das dreimal. Großartig. Großartig. Wirklich großartig.
Sie musste lachen. Das war Stockerau. Jeder wusste alles. Sie nicht. Aber sie hatte das nie gelernt. Sie hatte es nie begriffen, wie das ging. Der Dominik Ebner wusste schon wieder, dass sie beim Onkel Schottola wohnte. Sie schaute ihm in die Augen. Sie zog ihre Hand nicht weg. Was wusste er sonst. Es wäre alles ganz anders, sagte sie. Sie sei zu den Schottolas geflüchtet. Sie fiele denen nach wie vor zur Last.
Dominik zog seine Hand zurück. Er setzte sich auf und verschränkte die Arme. Er schaute sie an. Prüfend. Dann beugte er sich ihr zu. Mit den Schottolas habe sie einen harten deal gehabt. Die Schottolas wären ja Angehörige einer Minderheit in der Minderheit gewesen. So etwas wirke sich aus. Die einzigen Evangelischen H.B. unter den 500 Evangelischen A.B. gegen die 10 000 Katholiken in so einer kleinen Stadt. Das wäre die Härte pur. Er sagte das nachdenklich. Sie schaute in ihren Kaffee. Was wusste so ein verwöhnter Fratz wie der Dominik schon. Die Schottolas. Das waren ihre Eltern. Das waren die Personen in ihrem Leben, die am ehesten Eltern gewesen waren. Sie konnte hierher zurückkommen. Immer und jederzeit. Wenn man wie sie immer schon entscheiden hatte müssen, was gut für eine war. Sie schaute weiter in ihren Kaffee. Dann. Die Schottolas wären das Beste für sie gewesen, was sie gefunden habe. Dominik beugte sich über den Tisch herüber. Genau das hätte er gemeint. Er wolle nichts gegen diese Leute sagen. Er könne von Glaubenszugehörigkeiten absehen. Er habe nur sagen wollen, dass in so einer Kommune das immer noch die Grundlage der Beurteilung abgäbe. »Du willst sagen, dass sie.« Sie schaute auf. Er sah zum Fenster hinaus. Ja. Man könne sagen, dass sie anders bemessen würden. Er habe das also nicht negativ gemeint, dass der Hermann Schottola seinen Betrieb gerade rechtzeitig verkauft hätte. Er wäre nicht neidisch, deswegen. Aber sie könne sich ja vorstellen, wie das so liefe. Wie da geredet würde. Eingeschätzt. Beurteilt. Ja, das könne sie. Und das wäre dann auch der Grund, nicht lange hierzubleiben. Hierbleiben zu wollen.
»Nein.« rief er laut. Wieder hielten alle inne und schauten zu ihrem Tisch hin. Eine Gruppe Frauen war hereingekommen und setzte sich gerade nieder. Weiter unten im Lokal. Sein lautes »Nein«. Alle hatten sich ihnen zugewandt. Zwei Frauen nickten Dominik zu. Er winkte den Frauen zurück. Lächelte strahlend. Währenddessen sagte er zu ihr, dass das Professorinnen vom Realgymnasium seien, die im Tennisclub wichtig wären. »Leider beide eine banale Rückhand.« flüsterte er ihr über den Tisch zu. Vertraulich. Vom Tisch dieser Frauen aus musste es aussehen, als wäre er sehr vertraut mit ihr. Sie richtete sich auf. Das war es, was sie hier so müde machte. Jeder Augenblick. Jede Geste. Alles war bedeutsam. Allen anderen war alles bedeutsam. Und ihr. Ihr war alles gleichgültig. Vollkommen gleichgültig. Es war ihr mit einem Mal alles so gleichgültig. Alle diese Schuljahre hier. Sie hätte gestehen mögen. Sie hätte aufstehen mögen und alles gestehen. Sie hätte Lust gehabt, so ein Geständnis in den Raum zu schleudern. Sie war ja eine Schlampe. Es hatte sich nichts verändert. Dominik Ebner. Die
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