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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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auch Kameradschaft für kontraproduktiv. Habe sie das Gefühl, dass das in der Ausbildung da in Nottingham berücksichtigt würde. Würde da die Kameradschaft stark betont, oder habe man endlich begriffen, dass diese Rituale und Mutproben Bindungen herstellten, die sich dann später als fatal herausstellen konnten. Jedenfalls als hinderlich. Als psychisch hinderlich, wenn diese Bindungen zerfielen. Zerstört würden. Beendet. Traumatisierten.
    Sie griff nach dem Brot. Sie beobachtete ihre Hand über dem Brotkörbchen. Wie sie ein Stück auswählte. Wie sie es auf ihren Brotteller legte. Mit dem Gäbelchen eine Butterrose aufspießte. Die Butter auf ihrem Teller ablegte.
    Sie lächelte dabei. Das war die einfachste Haltung im Gesicht. Freundliches Lächeln. Sanft. Gregory sollte sie ruhig dumm finden. Das Lächeln hielt ihre Übelkeit tief in ihr. Einen Widerwillen. Ekel ließ das Lächeln feiner werden. Die Mundwinkel zittriger. Sie hob ihre Augen. Sie ließ ihre Augen Gregorys Blick treffen. Gregory hielt das nur kurz aus. Dann schaute er wieder auf seine Gläser. Schob die Gläser voreinander und wieder zurück in die Reihe. Wasserglas. Weißwein. Rotwein.
    Der alte Kellner kam an den Tisch. Er nahm die Rotweingläser weg. Er nahm Gregory das Rotweinglas aus den Fingern. Er nahm ihm das Glas einfach weg und nickte ihr wieder freundlich zu. Gregory warf sich nach hinten zurück. Er schaute dem Kellner nach. Natürlich könne sie das nicht, sagte sie. Gregory riss sich aus seinem missbilligenden Blick nach dem Kellner. Sie müsse ihm vertrauen. Sie müsse ihm ganz einfach vertrauen. Er hielt den Kopf gesenkt. Sprach mit ihr. Schaute auf seinen silbrig glänzenden Platzteller. Er wetzte dabei. Unter dem Tisch. Er schob seine Knie vor und zurück. Verlagerte sein Gewicht von rechts nach links. Er wetzte. Wie ein Schulbub, dachte sie. Sie hasste ihn. Während er so vor sich hin sprach und wetzte. Sie hasste ihn. Der Hass sprang so plötzlich und so stark auf, dass sie sich über ihre Tasche beugen musste und nach einem Taschentuch suchen. Der Hass presste ihren Brustkorb zusammen. Im Bauch ein brodelndes Getobe. Und ein staubig trockener Geschmack am Gaumen. Der staubig trockenborstige Geschmack des Bodenbelags an der Wand. Sie tupfte an ihrer Nase. Sie hatte feuchte Augen. Sie sah ihm ins Gesicht. Er hob seinen Blick und schaute sie zurück an. Dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. Amy, sagte er. Es wäre schon o.k. Sie wäre schon o.k. Gregory war plötzlich vergnügt. Wenn er sie so anschaue. Sie habe eine große Zukunft vor sich. Eine wirklich großartige Zukunft. Sie würde schon sehen. Sie habe nicht nur das Aussehen dafür. Sie habe auch die richtige Biographie. Sie müsse einsehen, dass sie mit einem solchen Job die Möglichkeit habe, ihre Biographie kreativ nutzen zu können. Alle Wut und Verzweiflung, die das Leben bis jetzt in sie vergraben habe. Alle diese Wut und Verzweiflung könne sie freisetzen. Sich befreien davon. Überwinden. Wäre das nicht die ultimative Erfüllung. Sie wäre auf dem richtigen Weg. Er könne das ja beurteilen, und er läge da immer richtig. Er habe eine Begabung darin. Das Potential von Personen zu beurteilen, und er beurteile ihres als sehr hoch. Er könne das sehen. Vor sich sähe er das. Sie mache sich ja keine Vorstellungen, was für ein Potential da draußen existierte. Die Deregulierung der Sicherheitsfrage. Man konnte in Sicherheit dealen. Man konnte den Lauf der Geschichte bestimmen. Schmerzen. Pain and anger. Damit konnte gehandelt werden. Es ging nicht mehr um altmodische Loyalitäten. Es ging um die Macht. Ein wahrhaft königliches Unternehmen. Er habe sie als eine Tochter angesehen. Er habe gedacht, sie könne das alles begreifen. Eine Nachfolgerin. Er wäre bereit, sie alles wissen zu lassen, und sie würde ihn nicht enttäuschen. Er grinste sie an. Er wetzte und grinste sie an. Verschwörerisch. Verschwörerisch triumphal.
    Der sommelier räusperte sich. Er stand am Tisch und hielt Gregory eine Flasche hin. Gregory griff nach der Flasche. Fühlte die Temperatur. Der Ärmel seines Sakkos rutschte zurück. Gregorys Rolex war zu sehen. Kurz. Der Anblick. Gregorys Handgelenk. Die dunklen Härchen. Das Silber und Goldglitzern der Rolex. Eine Schwärze fiel von hinten über sie her, und sie stützte ihr Kinn auf ihre Hände, um nicht auf ihren Platzteller geworfen zu werden. Dann legte sie die Hände auf den Platzteller, die Kühle des Metalls zu spüren.

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