Die Schmetterlingsinsel
Frau auspeitschen. »Ich will mich mit ihnen unterhalten können. Ich habe Schwierigkeiten, ihren Akzent zu verstehen, und es wäre doch nur höflich, wenn ich ihre Sprache sprechen könnte.«
»Höflichkeit gegenüber diesen Leuten!« Henry schnaufte spöttisch, dann ergriff er sein Glas und trank zwei hastige Schlucke. »Diese Leute kennen nichts anderes als Befehle und Pflichten, sie wären verwundert, wenn ihre Herren ihnen gegenüber freundlich wären.«
Grace presste die Lippen zusammen. War das ein Nein?
»Aber ich gebe zu, dass es von Vorteil wäre, die Sprache zu kennen. Dann erfährt man wenigstens rechtzeitig, wenn sie vorhaben, sich aufzulehnen. Du könntest mir wertvolle Dienste leisten, wenn du dich ein wenig bei ihnen umhören würdest. Ich würde nur zu gern wissen, was sie denken.«
Grace hatte auf einmal das Gefühl, einen Stein gegessen zu haben. Der Duft des Bratens wirkte auf einmal fad. Ihr Vater wollte, dass sie spionierte. Jetzt tat es ihr leid, dass sie gefragt hatte. Bei so viel Arbeit hatte er ohnehin keine Zeit, sich um die Geheimnisse seiner Tochter zu kümmern.
»Dann möchte ich die Sprache auch können!«, platzte Victoria heraus.
»Du wirst dich um deinen eigenen Unterricht und die Aufgaben von Mr Norris kümmern«, entgegnete ihr Vater sogleich. »Er hat mir vor einigen Stunden dein letztes Diktat gezeigt. Es kann doch nicht sein, dass eine junge Frau solch eine schreckliche Handschrift hat!«
Victoria zog einen Schmollmund, während Grace nur schwer einen erleichterten Seufzer unterdrücken konnte. Sie liebte ihre Schwester über alles, doch aus einem Grund, den sie nicht ganz verstand, wollte sie nicht, dass sie dabei war, wenn sie mit Vikrama übte.
»Also gut, Grace, lass dich von Mr Vikrama unterrichten. Allerdings nur unter der Bedingung, dass du ihn nicht von seinen eigentlichen Pflichten abhältst.«
»Er hat sich einverstanden erklärt, mich außerhalb seiner Arbeitszeiten zu unterrichten.«
»Und du wirst Miss Giles zu den Stunden mitnehmen. Als Anstandsdame.«
»Anstandsdame?«, platzte es aus Grace heraus. »Was denkst du denn, was passieren wird!«
»Hoffentlich nichts, deshalb wird sie dich begleiten. Bist du damit nicht einverstanden, wirst du leider auf den Unterricht verzichten müssen.«
Grace schnaufte, doch sie wusste, dass sie den Bogen nicht überspannen durfte. Dass ihr Vater ihr erlaubte, die Sprache zu erlernen, war eine Gnade, die sie besser nicht aufs Spiel setzte.
»In Ordnung, Vater, ich werde Miss Giles mitnehmen«, sagte sie süßlich. »Hoffentlich langweilt die Arme sich nicht zu Tode.«
»Sie hat bestimmt noch die eine oder andere Handarbeit, der sie sich in der Zeit widmen kann«, setzte Claudia hinzu, ganz offensichtlich froh darüber, dass sie keine Beschäftigung für die Gouvernante suchen musste. »Ich finde es auch besser, wenn du nicht mit diesem Mann allein bist. Er mag ein guter Angestellter sein, aber über sein Privatleben wissen wir gar nichts.« Sie blickte kurz zu ihrem Mann, als hoffte sie, dass er sie aufklären konnte. »Dass du ihn gefragt hast, war schon sehr mutig von dir, immerhin hätte er es falsch verstehen können.«
Grace presste die Lippen zusammen. Was in aller Welt dachten sie denn von ihm? Dass er wie ein Wüstling über sie herfallen würde?
»Wenn du das sagst, Mutter«, entgegnete sie schließlich, und obwohl sie keinen Hunger mehr hatte, schaufelte sie noch etwas Fleisch in ihren Mund und kaute langsam darauf herum, damit niemand mehr eine Antwort von ihr erwartete.
»Wie kommst du eigentlich darauf, die Tamilensprache lernen zu wollen?«, wunderte sich Victoria, als sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatten. »Ich denke, du kannst dieses Land nicht ausstehen. Jedenfalls war es doch vor drei Wochen noch so.«
Grace lächelte versonnen in sich hinein, während sie ihre Stickarbeit begutachtete. Schon vor einigen Tagen hatte sie begonnen, eine kleine Frangipani-Blüte auf ein seidenes Taschentuch zu sticken. »Es ist wegen der Frau von gestern. Die ausgepeitscht wurde.«
Victoria sah sie unverständig an. »Ja, und?«
»Die anderen Frauen haben sich aufgeregt etwas zugeflüstert, das ich gern verstanden hätte.«
»Dann willst du also für Papa spionieren?«
»Natürlich nicht!«, entgegnete Grace empört. »Ich glaube kaum, dass diese Leute etwas Schlechtes über uns sagen würden.«
»Das hat sich vielleicht geändert, seit dieser Vormann die Frau ausgepeitscht hat.«
»Wollen wir
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