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Die Schmetterlingsinsel

Die Schmetterlingsinsel

Titel: Die Schmetterlingsinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corina Bomann
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möglich …« Sie stockte kurz, weil sie befürchtete, zu viel zu verlangen.
    »Was denn?« Vikrama lächelte jetzt wieder.
    Dadurch ermuntert, sagte Grace: »Wäre es möglich, dass Sie mir ein wenig Tamil beibringen?«
    »Aber die meisten Leute hier sprechen Englisch.«
    »Ich weiß, aber ich … bei dem Vorfall hätte ich die Frau … Naala zu gern in ihrer Sprache getröstet. Und ich hätte gern verstanden, was die Frauen ringsherum gesagt haben. Ich glaube, es wäre nur … höflich, ihre Sprache zu verstehen, finden Sie nicht?«
    Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und der Knoten in ihrer Magengrube zog sich weiter zusammen. Auf einmal kam sie sich ziemlich dumm vor. Vikrama hatte recht, hier sprachen alle Englisch. Und nach dem Vorfall von heute Nachmittag würden die Leute sicher nicht wollen, dass die Herrschaften ihre Sprache verstanden. Denn nur so konnten sie sich beklagen, ohne dass der Vorarbeiter sie bestrafen würde.
    »Tamil ist keine leichte Sprache«, bemerkte Vikrama, nachdem er sie eine Weile gemustert hatte. »Aber ich will mein Bestes tun, es Ihnen beizubringen.«
    Damit wandte er sich um und verschwand zwischen den Büschen.
    Grace sah ihm lächelnd nach, dann erinnerte sie sich wieder an das Medaillon. Sie zog es unter ihrem Kleid hervor, betrachtete es und wollte schon eine ihrer Haarnadeln holen, als Victoria zur Tür hereinstürmte.
    Rasch ließ sie das Medaillon wieder unter ihrem Kragen verschwinden.
    »Du isst nicht?«, fragte ihre Schwester verwundert, als sie das volle Tablett sah.
    »Doch, ich wollte gerade.«
    »Du tust auch besser daran, der Vogel ist vorzüglich! Außerdem bringt es nichts, dass du schmollst, Papa hat sich ­inzwischen wieder eingekriegt und berichtet, dass er Mr ­Petersen wegen der Auspeitschung zurechtgewiesen hat. Wahrscheinlich hat er es dir nur übelgenommen, dass du dazwischengegangen bist.«
    Nein, er hat mir übelgenommen, dass ich nicht das brave Mädchen war, das er seit einigen Jahren gewöhnt ist, dachte Grace, nickte aber.
    »Gleich morgen werde ich zu Vater gehen und mich entschuldigen«, kündigte sie an, und sie wusste auch schon, was sie mit ihrer zurückgewonnenen Freiheit tun würde.
    Nachdem sie sich am nächsten Morgen bei ihrem Vater entschuldigt und dieser den Arrest aufgehoben hatte, ging Grace zu den Unterkünften der Pflückerinnen. Naala gehörte zu jenen, die mit ihren Kindern am Rand der Teeplantage lebten. Einen Mann hatte sie offenbar nicht, dafür aber zwei Kinder. Während ihr Sohn schon alt genug war, bei der Arbeit mitzuhelfen, war die Tochter erst drei oder vier Jahre alt. Mit großen Augen musterte sie Grace, als diese sich der Hütte näherte, dann wirbelte sie herum und lief ins Innere.
    Wie versteinert betrachtete Grace die Unterkunft, die man weder Haus noch Hütte oder Schuppen nennen konnte. Die Wände wurden aus löchrigen Brettern gebildet, das mit Palmblättern gedeckte Dach wirkte alles andere als wasserdicht. Beinahe schämte sich Grace für den Luxus, in dem sie lebte.
    Wenig später tauchte die Kleine wieder auf und winkte Grace in die Behausung. Dunkel war es dort, die Luft erfüllt vom Geruch nach getrocknetem Blut und bitteren Kräutern.
    Neben der Schlafstätte, auf der Naala bäuchlings ausgestreckt lag, stand eine alte Frau, deren Haut so braun wie die Schale von Walnüssen war. Das Leben hatte eine furchige Landkarte auf ihrem Gesicht hinterlassen. Mit ihren dunklen Augen musterte sie Grace von Kopf bis Fuß, dann flammte Erkenntnis in ihren Augen auf. »Du musst sein junge Miss.«
    Grace brauchte einen Moment, um die stark akzentgefärbten Worte zu verstehen, dann nickte sie. »Die bin ich.«
    »Du helfen Naala.«
    »Ja, und ich wollte wissen, wie es ihr geht.«
    »Es geht schlecht«, sagte die Frau und zog das Tuch auf Naalas Rücken ein Stück hinunter. Die Wunden waren mit einer Paste bedeckt, die die Schwere der Verletzungen nicht verschleierte, sondern sie noch hervorhob. Wie blutige Mäuler klaffte die Haut auf.
    Grace schlug entsetzt die Hand vor den Mund.
    »Das sollte sich ein Arzt ansehen.«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Kein Arzt. Ich bin da und sorgen für sie. Meine Medizin heilt Wunden, nur dauert.«
    Der Nachdruck in ihren Worten brachte Grace davon ab, auf den Arzt zu bestehen. Dennoch hatte sie Zweifel, ob die traditionelle Medizin ausreichen würde. Was, wenn die Frau Wundbrand bekam? Wie schrecklich man daran sterben konnte, hatte sie einmal in einem Zeitungsartikel

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