Die Schmetterlingsinsel
hoffen, dass dem nicht so ist. Auf alle Fälle habe ich aber nicht vor, sie auszuhorchen und dadurch noch misstrauischer zu machen. Ich will mich nur mit ihnen unterhalten können.«
Damit wandte sich Grace wieder ihrer Stickerei zu. Sie hatte gerade den Rand eines weiteren Blütenblatts fertig, als Victoria unvermittelt fragte: »Du magst Mr Vikrama, nicht wahr?«
Nur knapp verfehlte Grace ihre Fingerkuppe mit der Nadel. »Was erzählst du da für einen Unsinn?«
»Leugne es nicht! Ich bin deine Schwester. Ich sehe ja, wie deine Augen leuchten, wenn von ihm geredet wird. Und wenn du über ihn redest. Kein Wunder, dass Vater dir Miss Giles mitgibt.«
Ist meine Sympathie denn wirklich so offensichtlich?, fragte sich Grace erschrocken. Ihre Wangen färbten sich dunkelrot.
»Er ist wirklich sehr nett«, gab sie zu. »Und er sieht gut aus, findest du nicht?«
»Er sieht aus wie ein Londoner Dandy, der zu lange in der Sonne gesessen hat.« Victorias Augen funkelten vergnügt.
»Von Dandys solltest du eigentlich noch nichts wissen«, gab Grace gespielt empört zurück.
»Hast du die Gäste von unserer Abschiedsparty vergessen?«, entgegnete Victoria, während sie sich ihrer großen Schwester gegenüber auf das Fensterbrett setzte. »Mr Hutchinson sah aus, als wäre er auf Brautschau. Dabei hat er eine reiche und, wenn man den anderen Frauen glaubt, gutmütige Ehefrau.«
Die Erinnerung an den Mann, den man wirklich als Dandy bezeichnen konnte, vertrieb Graces Unsicherheit und brachte sie zum Lachen.
»Ja, dieses lächerlich gemusterte Jackett!«, gab sie zu. »Wie eine Vogelscheuche!«
»Und alles andere als passend für sein Alter!«, setzte Victoria noch einen obendrauf. »Die jungen Frauen haben sich über ihn lustig gemacht.«
Die beiden Mädchen brachen in Gelächter aus. »Weißt du«, sagte Victoria, als sie sich wieder gefangen hatte. »Ich war, glaube ich, nicht ganz ehrlich. Ich vermisse London und seine Feste doch ein wenig.«
Mit einer fast unbeholfen wirkenden Geste griff sie nach der Hand ihrer Schwester. »Du wärst auf dem Debütantinnenball die Schönste gewesen, das sage ich dir.«
»Meinst du wirklich?« Während sie sprach, bemerkte Grace, dass es ihr eigentlich gar nicht mehr leidtat, nicht vor der Königin zu tanzen. Etwas hatte den leeren Fleck, den die verpasste Gelegenheit hinterlassen hatte, ausgefüllt. Etwas, das sie nicht benennen konnte – jedenfalls noch nicht –, doch das wesentlich erfüllender war als der Glanz eines Ballsaals.
»Ich frage mich, ob ich ein Debüt bekommen werde.« Victoria ließ die Beine baumeln und schlug mit den Hacken gegen die Vertäfelung unterhalb des Fenstersimes. »Meinst du, wir werden nach England fahren?«
»Wenn du Papa nur lange genug in den Ohren liegst …« Grace war sicher, dass das nichts bringen würde, aber sie wollte Victoria nicht die Hoffnung nehmen.
»Allerdings habe ich mir sagen lassen, dass es in Nuwara Eliya auch jährlich einen Debütantinnenball gibt«, sagte Victoria. »Sie feiern ihn in einem der Hotels in der Gegend. Die Männer vom Hills Club finanzieren ihn und sorgen damit dafür, dass ihre gelangweilten Ehefrauen auch mal was zu tun haben.«
Grace zwinkerte Victoria verschwörerisch zu, die breit feixte. »Aber eine Doppelgängerin von der Königin haben sie nicht zufällig, oder?«
»Nein, aber ich glaube, sie stellen einen Abzug des offiziellen Gemäldes auf«, behauptete Victoria. »So werden wir auch vor der Königin tanzen.«
Die beiden Mädchen brachen in Gelächter aus.
Vannattuppucci Tea Company, 2008
Als Diana gegen sechs Uhr erwachte, hoben sich die Frühnebel gerade über der Plantage und tauchten alles in ein seltsames blaues Licht. Als hätte das Einfluss auf ihre Rufe, meldeten sich die Papageien zunächst nur zaghaft und vereinzelt. Ansonsten war auf der Plantage alles still. Nur das ferne Rascheln der Teeblätter, über die der Wind strich, drang wie Elfenwispern an ihr Ohr.
Diana erhob sich und lief barfuß zum Fenster. Das Gefühl der kalten Fliesen unter ihren Füßen vertrieb ihre Müdigkeit, ein Übriges tat der Anblick, der sich ihr von hier aus bot. Das Licht war ganz anders als in Europa, und die Nebel hatten hier nichts Deprimierendes an sich. Sie wirkten vielmehr wie die Schleier einer erwartungsvollen Braut, die ihr Antlitz bald ihrem Geliebten zeigte.
Diana setzte sich in die Fensterlaibung und betrachtete den Schemen ihrer eigenen Gestalt in der Scheibe. War in diesem Raum
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