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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Hass eines Kleinbauern auf den Grundbesitzer, tiefer als die Feindschaft zwischen Arbeiterklasse und Kapitalisten. Der Glaube an den Satz «Klassenfeindschaft ist größer als der Berg Tai», den man mir von Jugend an eingebläut hatte, fiel in sich zusammen. Wenn der Hass eines Menschen auf einen anderen ein derartiges Ausmaß annehmen konnte, wurde er zu einer unangreifbaren Form der Schönheit, ein großartiger Beitrag zur Kultur der Menschheit. Wie sehr glich er einer feuerroten, giftigen Mohnblüte im Sumpf der menschlichen Gefühle. Solange du die Blüte weder berührst noch isst oder trinkst oder rauchst, ist sie eine Verkörperung reiner Schönheit und besitzt eine Anziehungskraft, die keine freundlich harmlose Blüte je besitzen könnte.
    Dann begann sie, die Missetaten meines Schwiegervaters einzeln aufzuzählen, und jedes Wort, jede Silbe war von Blut und Tränen erfüllt. Sie sagte:
    «Wie kann man so jemanden einen Menschen nennen? Wie kann man ihn einen Mann nennen? Seit Jahrzehnten behandelt er seinen Alkohol wie eine Frau. Er war es, der die üble Gewohnheit aufgebracht hat, eine schöne Frau mit gut gereiftem Schnaps zu vergleichen. Das Trinken ist an die Stelle des Geschlechtsverkehrs getreten. Er hat all seine sexuellen Triebe auf den Schnaps gerichtet, auf seine Flaschen, auf seine Weingläser …»
    «Herr Doktorand Li!», fuhr sie fort. «In Wirklichkeit bin ich nicht deine Schwiegermutter. Ich habe nie ein Kind geboren. Wie denn auch? Deine Frau ist ein Findelkind, das ich in einem Mülleimer gefunden habe.»
    Jetzt wurde die Wahrheit offenbar. Ich atmete tief aus, als wäre mir eine Last vom Herzen gefallen.
    «Du bist ein intelligenter Mensch, Doktorand Li. Der Sand, den man dir in die Augen streut, bringt dich nicht von der Fährte ab. Du musst geahnt haben, dass sie nicht meine biologische Tochter ist. Und deshalb glaube ich, dass wir enge Freunde werden können und ich dir alles erzählen kann. Doktorand Li, ich bin eine Frau, kein steinerner Löwe vor dem Palastmuseum oder eine Wetterfahne auf einem Dach. Und mit Sicherheit bin ich kein elender Zwitter von einem Wurm. Ich habe die Begierden einer Frau, und doch blieb mir alles versagt … Wer kann den Schmerz verstehen, den ich empfinde …»
    Ich sagte:
    «Warum hast du dich nicht von ihm scheiden lassen?»
    «Ich bin schwach, ich scheue das Gerede der Menschen …»
    Ich sagte:
    «Das ist lächerlich.»
    «Ja, das ist es. Aber jetzt sind die lächerlichen Zeiten vorüber, Doktorand Li. Ich kann dir sagen, warum ich mich nicht von ihm habe scheiden lassen. Er hat extra für mich einen starken Kräuterlikör gebraut, den er nach dem Helden des obszönen Romans Jin Ping Mei oder Schlehenblüten in goldener Vase Ximen Qing genannt hat. Wenn man diesen Likör trinkt, entstehen Illusionen, die das Bewusstsein sprengen. Manchmal sind sie sogar besser als Sex …»
    Ich entdeckte einen bezaubernden Anflug von Schüchternheit in ihrer Stimme.
    «… aber als du in mein Leben getreten bist, hat die Macht des Likörs plötzlich nachgelassen.»
    Ich hatte genug davon, von draußen an die Tür zu klopfen.
    «Stell dir eine Frau vor, die wie eine Bärentatze in Gewürze gehüllt jahrzehntelang auf niedriger Flamme gedünstet wurde. Jetzt ist sie endlich reif. Ihr Duft ist überwältigend. Sag nicht, du kannst ihn nicht riechen, mein lieber Doktorand …»
    Die Tür öffnete sich weit. Der Duft gedünsteter Bärentatze rollte in gewaltigen Wellen heraus. Ich hielt mich am Türrahmen fest wie ein Ertrinkender, der sich mit letzter Kraft an die Reling klammert …

IV
     
    Als der Schuss den dunkelhäutigen Zwerg traf, schoss sein Körper in die Höhe, als wolle er davonfliegen. Das heiße Blei hatte sein zentrales Nervensystem zerstört. Alle seine Glieder zuckten in Krämpfen. Eines machten die Zuckungen deutlich: Yu Yichi konnte die übernatürlichen Kräfte nicht mehr mobilisieren, die der Doktorand der Alkoholkunde in seiner Erzählung Yichi, der Held beschrieben hat. In dieser Erzählung konnte er sich in die Luft erheben, um wie eine riesige Eidechse unter der Decke zu hängen. Diesmal war das Gegenteil der Fall: Die Leiche sprang ein paar Zentimeter in die Luft und rutschte dann vom Schoß der Lastwagenfahrerin auf die Erde. Ding Gou'er sah zu, wie er versuchte, die Kontrolle über seine Glieder zu gewinnen. Die Muskeln seiner Oberschenkel waren straff wie Haltetrosse bei Sturmwind. Aus dem Loch in seinem Kopf flossen Blut und Gehirnmasse und

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