Die Schnapsstadt
Hand über den Kopf gefahren und hatte zum Dank einen Schlag mit der Weidengerte aufs Bein geerntet. Lass das!, hatte der Junge wütend gerufen. Wer hat dir erlaubt, mir über den Kopf zu fahren? Weißt du nicht, dass man davon dumm werden kann? Er hatte den Kopf auf die Seite gelegt und seinen Vater ernst aus einem Auge angesehen. Lachend hatte der Ermittler erwidert: Du dummer kleiner Junge, von einmal über den Kopf streichen kannst du nicht dumm werden. Aber wenn du mit der Zunge an deinen neuen Zähnen herumspielst, können sie krumm werden … Die Macht der Erinnerung brachte sein Blut zum Kochen, und als er die Hand zurückzog, standen Tränen in seinen Augen. Leise nannte er den Namen seines Sohnes und schlug sich gegen die Stirn. Du Arschloch! Ding Gou'er, du Arschloch! Wie konntest du so etwas tun?
Der kleine Junge sah ihn angewidert an. Dann drehte er sich um und ging langsam weg. Seine kleinen fetten Beine flogen auf und nieder wie Pumpenschwengel. Schnell verschwand er im Verkehr.
Eine Mordanklage wird man nicht so leicht los, dachte er. Aber bevor ich sterbe, will ich meinen Sohn noch einmal sehen. Dann schweiften seine Gedanken zurück in die Hauptstadt, die in diesem Moment am anderen Ende der Welt zu liegen schien.
Er hob die Pistole, in der noch eine Patrone steckte, auf und rannte aus Yichis Taverne auf die Straße. Die beiden kleinwüchsigen Türsteherinnen versuchten, ihn an den Kleidern festzuhalten, als er vorbeilief, aber er schüttelte sie ab und sprang ohne Rücksicht auf die Gefahr mitten im tosenden Verkehr auf die Straße. Von rechts wie von links hörte er die Bremsen quietschen, und ein Auto berührte im Vorübergehen leicht seine Hüfte. Aber das spornte ihn nur an, bis er die Sicherheit des Bürgersteigs erreicht hatte. Er hörte lautes Geschrei im Torweg von Yichis Taverne. Er folgte dem laubübersäten Bürgersteig und lief, so schnell er konnte. Irgendwoher wusste er, dass es früh am Morgen war und am regennassen Himmel blutgeränderte Wolken standen. Der kalte Regen, der in der Nacht gefallen war, hatte den Bürgersteig schlüpfrig gemacht. Gefrorene Tautropfen bedeckten die tief herabhängenden Zweige der Bäume am Straßenrand. Plötzlich fand er sich auf dem Kopfsteinpflaster der vertrauten Gasse wieder. Dichter Dampf stieg aus dem Straßengraben, in dem Delikatessen wie gebratener Schweinskopf, frittierte Fleischklößchen, Schildkrötenschalen, gedünstete Garnelen und kräftig gewürzte Schweinefüße schwammen. Ein paar zerlumpte alte Bettler fischten mit Käschern, die an langen Bambusstangen hingen, die Köstlichkeiten aus dem Wasser. Ihre Lippen waren fettig, und sie hatten rote Gesichter, was seiner Meinung nach ein Beweis für den Nährwert des Mülls war, nach dem sie fischten. Ein paar Radfahrer machten ein angeekeltes Gesicht, bevor sie mit lautem Aufschrei in den Graben stürzten. Die Radfahrer und ihre Räder durchbrachen den glatten Wasserspiegel und ließen den schweren Geruch von Brauereihefe und Aas in die Luft steigen. Er hätte sich fast übergeben. Er hielt sich beim Laufen eng an die Hauswände, aber dennoch rutschte er auf der glatten Straße aus. Laute Rufe und schwere Schritte ertönten in seinem Rücken. Er rappelte sich auf und blickte zurück. Er sah eine Menge von Leuten, die auf und ab sprangen und laute Schreie ausstießen, aber nicht den Mut hatten, ihn zu verfolgen. Jetzt ging er langsamer weiter.
Sein Herz klopfte so stark, dass ihm der Brustkorb wehtat. Da, auf der anderen Seite der Mauer, lag der vertraute Heldenfriedhof, dem die in Pagodenform geschnittenen Zypressenwipfel eine Aura von Reinheit und Heiligkeit verliehen.
Warum laufe ich weg?, dachte er, noch während er lief. Die Netze des Himmels sind weit. Ich kann weglaufen, aber ich kann mich nicht verstecken. Doch seine Beine liefen und liefen. Er entdeckte den alten Gingkobaum und unter dem Baum den Wantan-Verkäufer, der so aufrecht dastand wie der Baum selbst. Hinter den Dampfwolken, die aus seinen Wantan-Körben aufstiegen, wirkte sein Gesicht so streng wie das dräuende Antlitz des wolkenverhangenen Mondes. Dunkel erinnerte er sich an den alten Mann, der an ebendiesem Ort gestanden und eine kupferne Patrone in der Hand gehalten hatte, den Lohn für die Wantans, die Ding Gou'er verzehrt hatte. Ich sollte mir die Patrone wiederholen, dachte er. Aus seinem Magen stieg der Nachgeschmack von Wantans mit Schweinefleisch und Lauchzwiebeln in seine Kehle. Zu Winteranfang sind die
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