Die Schnapsstadt
Lauchzwiebeln am besten … und am teuersten. Hand in Hand schlendern Männer und Frauen in der Provinzhauptstadt über den Markt, wo die Gemüsehändler aus den Vorstädten hinter ihren Körben und Tragstangen kauern und kalte gefüllte Klöße essen, die Zwiebelspuren auf ihren Zähnen hinterlassen. Der alte Mann öffnete die Hand, um ihm die schöne Patrone zu zeigen, die in seiner Handfläche lag. Ein unterwürfiger Blick lag in den Augen, die hinter den Dampfschwaden auftauchten. Er strengte sich an zu verstehen, was der alte Mann von ihm wollte, aber das Bellen eines Hundes riss ihn aus seinen Gedanken. Das Gebell klang, als komme es aus weiter, weiter Ferne, rolle über das Gras einer fernen Wiese und habe den größten Teil seiner Kraft verloren, bevor es ihn erreichte. Aber plötzlich und unerwartet tauchte der große gestreifte Hund wie eine Geistererscheinung vor ihm auf. Er sah, wie der schwere Kopf des Hundes sich seltsam nickend vor ihm senkte. Er öffnete sein großes Maul, aber kein Laut erklang. Es war alles unwirklich und vergänglich wie ein Traum. Im roten Schein der Morgensonne warf das spärliche Laub des Gingkobaums ein lockeres Netz von Schatten über den Körper des Hundes. Er konnte sehen, dass der Blick in seinen Augen nichts Aggressives an sich hatte. Sein Bellen war ein freundlicher Hinweis oder auch der ernst gemeinte Ratschlag weiterzugehen. Er flüsterte dem alten Wantan-Verkäufer etwas zu, aber ein Windstoß trug seine Worte davon. Der alte Mann fragte, was er wolle. Aber Ding Gou'er konnte nur noch verwirrt stottern: Ich muss meinen Sohn finden.
Er nickte dem Hund freundlich zu, machte aber einen großen Bogen um ihn. Hinter dem großen Gingkobaum entdeckte er den alten Wächter vom Heldenfriedhof, der sich an den Baumstamm lehnte. Der Lauf der Schrotflinte in seiner Armbeuge war auf den Baumwipfel gerichtet. Auch in seinen Augen las er den freundlichen Hinweis oder ernst gemeinten Ratschlag weiterzugehen. Tief gerührt verneigte er sich respektvoll vor dem Veteranen und lief dann weiter zu einem kalten, wenig einladenden und anscheinend verlassenen Gebäudeblock. Hinter ihm erklang ein Schuss. Er ließ sich instinktiv zu Boden fallen und rollte zur Seite, um hinter den erfrorenen Blättern eines Rosenstrauchs Deckung zu suchen. Noch ein Schuss. Diesmal schaute er hinter sich, um zu sehen, von wo die Schüsse kamen. Er sah die Laubkrone des Gingkobaums beben und konnte ein paar welke Blätter erkennen, die im Sonnenschein zu Boden fielen. Der alte Friedhofswärter lehnte immer noch unbeweglich am Baumstamm. Aus beiden Läufen seiner Flinte wehte blauer Rauch. Inzwischen war der große gelbe Hund gemächlich von der anderen Seite des Baums herübergekommen und kauerte neben dem Wärter. Seine Augen spiegelten die Sonnenstrahlen wie Goldklumpen.
Er überquerte die heruntergekommene Grünanlage vor dem Gebäudeblock Ein paar alte Männer trugen ihre Vögel im Käfig an die Luft, und ein paar Kinder übten Seilspringen. Er steckte seine Pistole in den Gürtel, machte ein Gesicht, als könne nichts auf der Welt ihn erschüttern, schlenderte an ihnen vorbei und machte sich auf den Weg zu den Gebäuden. Aber sobald er sein Ziel erreicht hatte, entdeckte er, dass er einen großen Fehler gemacht hatte. Er war in einen frühmorgendlichen Flohmarkt geraten. Scharen von Trödlern kauerten neben ihrem Angebot: gebrauchten Armbanduhren und Taschenuhren, Mao-Zedong-Medaillen und Gipsbüsten aus der Kulturrevolution, alten Grammophonen mit Handkurbel und was dergleichen mehr ist. Massen von Verkäufern, aber keine Käufer. Die Händler warfen gierige Blicke auf die wenigen Passanten, die vorbeikamen. Das Ganze kam ihm vor wie eine Falle, ein Köder für die Unvorsichtigen. Wahrscheinlich waren die Trödler in Wirklichkeit Zivilfahnder. Je aufmerksamer Ding Gou'er sie beobachtete, mit desto größerer Sicherheit bestätigte ihm seine langjährige Erfahrung, dass sie genau das waren. Vorsichtig suchte er sich eine geschützte Stelle hinter einer Silberpappel, um das Treiben von dort aus zu beobachten. Er sah, wie sieben oder acht Jugendliche, Jungen und Mädchen, hinter einem der Gebäude hervorschlichen. Ihr Gesichtsausdruck und ihr Verhalten verrieten Ding Gou'er, dass sie irgendetwas Gesetzwidriges planten. Das Mädchen in der Mitte trug einen knielangen grauen Mantel, eine rote Mütze und eine Halskette mit Bronzemünzen aus der Qing-Zeit. Sie war die Anführerin. Auf einmal fielen ihm die
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