Die Schnapsstadt
Filmregisseur Zhang Yimou nach Shangcai fahren, um mir ein bisschen von dem zu holen, was mir zusteht.
All die wunderbaren Schnäpse, die du erwähnst, sind für ihre Qualität bekannt, aber ich brauche nichts davon. Was ich brauche – und zwar dringend-, ist Material über die Schnapsbrennerei, und ich hoffe, du kannst mir die wichtigeren Quellen schicken. Selbstverständlich werde ich das Porto übernehmen.
Bitte bestelle Liu Yan meine Grüße, wenn du sie siehst.
Mit herzlichen Grüßen
Mo Yan
VIERTES KAPITEL
I
Ermittler Ding Gou'er schlug die Augen auf. Seine Augäpfel fühlten sich trübe und schwer an. Er hatte bohrende Kopfschmerzen. Sein Atem stank. Sein Zahnfleisch, seine Zunge, sein Gaumen und sein Kehlkopf waren von klebrigem Schleim bedeckt. Im schwachen Licht der Deckenlampe konnte er nicht ausmachen, ob es Tag oder Nacht war, ob der Morgen graute oder der Abend dämmerte. Seine Armbanduhr war verschwunden, seine biologische Uhr ging falsch, sein Magen grollte, seine Hämorrhoiden pochten im Takt mit seinem Pulsschlag. Das surrende Glimmen von Glühfäden, die sich im elektrischen Strom aufheizten, wurde in seinen Ohren zu einem dumpfen Dröhnen. Über dem Surren, das seine Ohren füllte, konnte er seinen eigenen Herzschlag hören. Als er sich bemühte, aus dem Bett zu steigen, verweigerten ihm Arme und Beine den Gehorsam. Wie ein ferner Traum schwebte die Erinnerung an eine lange durchzechte Nacht durch seinen Kopf. Plötzlich lächelte ihm der goldbraun gebratene, aromatisch duftende Knabe auf seinem Silbertablett zu. Ein fremdartiger, tierischer Schrei drängte sich aus der Kehle des Ermittlers. Ding Gou'ers Bewusstsein sprengte seine Fesseln und setzte Ströme von Gedanken frei, die sich wie Lava bis in seine Muskeln und Knochen ergossen. Ding Gou'er sprang aus dem Bett wie ein Karpfen, der aus dem Wasser springt und in einem eleganten Bogen durch die Luft segelt. Der Sprung veränderte die räumliche Struktur des Zimmers und sein magnetisches Spannungsfeld, und das weiße Licht zerfiel in bunte Spektralfarben. Schließlich landete der Ermittler kopfüber auf dem Kunststoffteppich und nahm eine Körperhaltung an, die an einen Hund erinnerte, wenn er einen Knochen verteidigt.
Er lag mit nacktem Oberkörper auf dem Teppich und sah erstaunt die vier Kreuze an der Wand. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Hinter Dunstwolken von Alkohol stieg das klare Bild eines schuppigen Jungen auf, der ein Schmetterlingsmesser im Mund hielt. Erst jetzt merkte er, dass er vom Gürtel aufwärts nackt war. Die vorstehenden Rippen bohrten sich fast durch die Haut. Sein Bauch stand ein wenig vor. Eine braune verfilzte Haarsträhne lag matt auf seiner Brust. Sein Bauchnabel war voll Staub. Der Ermittler schüttete sich kaltes Wasser über den Kopf und warf einen Blick in den Spiegel: tote Augen in einem aufgedunsenen Gesicht. Er wurde das Gefühl nicht los, er könne genauso gut hier und jetzt im Badezimmer Selbstmord begehen. Er fand seine Aktentasche, nahm die Pistole heraus und spannte den Hahn. Er hielt die Waffe in der Hand und spürte den kühlen, harten Druck des Griffs. Er stand vor dem Spiegel und hatte plötzlich das Gefühl, er sehe einem Feind in die Augen, einem Menschen, den er noch nie gesehen hatte. Er schob den Pistolenlauf an die Nase, schob die Mündung in ein Nasenloch und machte zwei Reihen von Mitessern sichtbar. Dann legte er die Mündung an die Schläfe. Seine Haut zitterte vor erwartungsvoller Freude. Schließlich schob er sich den Lauf in den Mund und schloss die Lippen so fest um den kalten Stahl, dass auch nicht eine Nadel mehr dazwischengepasst hätte. Sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze, und er musste über sich selber lachen. Sein Spiegelbild lachte mit ihm. Die Waffe schmeckte und roch nach Pulver. Wann war sie abgefeuert worden?
Peng! Der Kopf des kleinen Jungen war zerplatzt wie eine Wassermelone. Bunte Fetzen waren in alle Himmelsrichtungen geflogen. Die aromatisch duftende Hirnmasse hatte überall Flecken hinterlassen. Er erinnerte sich, dass irgendjemand den Brei aufgeleckt hatte wie eine gierige Katze. In seinem Herzen regten sich Gewissensbisse, um seinen Kopf sammelten sich die dunklen Wolken des Verdachts. Wer übernahm die Garantie dafür, dass das Ganze nur ein Scherz gewesen war, dass die Arme des Knaben wirklich aus frischen Lotoswurzeln und Melonen bestanden hatten, dass man die Arme nicht nur so zubereitet hatte, dass sie aussahen, als
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