Die Schnapsstadt
anzog.
«Ach du bist es, die Frau mit dem alkalischen Boden», begrüßte Ding Gou'er sie wie der letzte Halbstarke. Als er bei ihr angelangt war, fühlte er sich erleichtert wie ein Schiff, das endlich den Hafen erreicht hat, oder ein Kind beim Anblick seiner Mutter.
«Der Herr Kunstdünger!», sagte sie mit breitem Grinsen. «Wie ich sehe, bist du immer noch da, du blöder Hund.»
«Ich wollte gerade abreisen.»
«Willst du nochmal mit mir fahren?»
«Sicher.»
«Aber nicht umsonst.»
«Eine Stange Marlboro. »
«Zwei Stangen.»
«Also gut: zwei Stangen.»
«Warte hier! »
Der Lastwagen vor ihr fuhr im Nebel schwarzer Abgase. Seine Reifen schleuderten eine Wolke von Kohlenstaub in die Luft.
«Platz da!», rief sie, sprang ins Führerhaus, griff nach dem Lenkrad und riss es hin und her, bis sie genau unter der Stelle stand, an der die Lorengleise endeten.
«Nicht schlecht, Mädchen!», rief ihr ein junger Mann im schwarzen Overall voll aufrichtiger Bewunderung zu: «Vom Wind kriegt die Kuh kein Kalb. Einen Zug schiebst du mit der Hand nur halb. Und einen Berg baust du auch nicht deshalb.» Sie sprang aus dem Führerhaus. Ding Gou'er grinste von einem Ohr zum andern.
«Worüber lachst du?», fragte sie.
Die Lore bewegte sich polternd vorwärts wie eine große schwarze Schildkröte. Die eisernen Räder ließen auf den eisernen Gleisen gelegentliche Funken stieben. Das schwarze Gummikabel rollte sich munter wie eine Schlange hinter der Lore ab. Eiserne Entschlossenheit sprach aus den Augen des Mädchens auf dem Wagen. Ihr vorgestrecktes Kinn erfüllte den Beobachter mit einem Respekt, der an Furcht grenzte. Wie ein wilder Tiger, der aus den Bergen herabsteigt, stürzte die Lore voran. Ding Gou'er hatte Angst, sie könne auf den Lastwagen aufprallen und ihn in einen Haufen verbogenes Metall verwandeln. Aber wie sich zeigte, waren seine Befürchtungen unbegründet. Denn das Mädchen verfügte über ein blitzschnelles Reaktionsvermögen, eine unfehlbare Einschätzung der Lage und einen Verstand, der funktionierte wie ein Computer. Sie zog im letzten Moment die Bremsen an, brachte die beladene Lore zum Kippen und ließ die glänzend schwarze Kohle auf die Ladefläche des Lastwagens rauschen. Nichts fiel daneben, nichts blieb in der Lore hängen. Der Kohlenstaub, der in seine Nase drang, hob Ding Gou'ers Stimmung noch mehr.
«Hast du eine Zigarette, Kumpel?» Er streckte der Frau die Hand entgegen. «Wie wäre es mit einem Glimmstängel für mich?»
Sie gab ihm eine Zigarette und steckte sich selbst eine an.
Durch einen Rauchschleier hindurch fragte sie: «Was ist dir denn passiert? Hast du eins auf den Deckel bekommen?»
Er war zu beschäftigt damit, einem Paar Maultiere zuzusehen, um zu antworten.
Gemeinsam sahen sie dem Maultierkarren zu, der sich auf der Zechenstraße näherte. Die Straße war mit Abraum, Kohlenstaub, zerbrochenen Steintafeln und fauligem Holz übersät. Als der Wagen näher kam, sahen sie den Wagenlenker, der mit der linken Hand die Zügel anzog und stolz seine Macht zur Schau stellte, indem er mit der Peitsche in seiner Rechten die Maultiere antrieb. Es waren zwei wunderschöne schwarze Maultiere. Das größere von beiden – anscheinend war es blind – lief zwischen den Deichselarmen. Das kleinere Maultier, das nicht nur sehen konnte, sondern auch feurige Augen so groß wie Bronzeglocken hatte, zerrte an den Zügeln. Ho – ho – ho! Wu – Ia – Ia! Zieht an – zieht an – zieht an! Die Peitsche knallte über ihren Köpfen, und das kräftige kleine Maultier warf sich ins Geschirr. Als der verrottete alte Karren schneller wurde, schlug das Schicksal zu: Das kleine schwarze Maultier stolperte und stürzte wie eine einstürzende dunkle Wand auf den harten, von Unkraut überwucherten Boden. Die Peitschenschnur landete auf dem Rumpf des Tiers. Mühsam schwankend versuchte es, wieder auf die Beine zu kommen. Seine Mitleid erregenden Schreie drangen den Zuschauern ins Herz. Starr vor Furcht warf der Lenker die Peitsche weg, sprang vom Wagen und fiel vor dem Maultier auf die Knie. Er langte unter das Tier und zerrte den einen Huf – er hatte sich grün und rot und weiß und schwarz verfärbt – zwischen zwei Steinplatten hervor. Ding Gou'er griff nach der Hand der Lastwagenfahrerin und machte ein paar Schritte auf das Schauspiel zu.
Der bleichgesichtige Kutscher hielt den Huf des Maultiers in der Hand und begann laut zu klagen.
Das ältere Maultier zwischen den Deichselarmen
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