Die Schnelligkeit der Schnecke
musste einfach ein schönes Lächeln haben. So einer würde man seine ganze Lebensgeschichte erzählen.
Ganz allmählich, ohne irgendein Zeichen oder eine Aufforderung begannen die Kongressteilnehmer wieder in den Konferenzsaal zurückzukehren. Währenddessen sah Massimo der Blonden ein paar Sekunden lang nach und versuchte einen Blick auf ihr Namensschild zu erhaschen, um herauszufinden, wie sie hieß und woher sie kam. Es gelang ihm nicht. Paradoxerweise hatte er sich gar nicht erst mit dem Rest ihrer Erscheinung aufgehalten. Eine Frau mit so einem hübschen Gesicht konnte für Massimo auch flach wie ein Brett sein.
Die Kongressteilnehmer gingen in den Saal, und er sah durch die Glastüren einen der Organisatoren zum Mikrofon greifen und mit ernster Miene ein paar Worte sagen. Während er sprach, blickten die Teilnehmer einander mit ungläubigen Mienen an.
»Massimo, wach auf. Wir müssen das alles hier noch aufräumen.«
Massimo drehte sich um. Aldo hatte die Ärmel bis über die Ellbogen aufgekrempelt (sieh an, da schwafelt einer von Stil, und dann krempelt er sich die Ärmel auf) und angefangen, die Reste der Papierservietten, Zahnstocher und anderes vom Tisch zu sammeln.
»Entschuldige. Ich war einen Augenblick abgelenkt. Ich verstehe nicht, was da hinten vor sich geht.«
»Wo da hinten?«
»Im Kongresssaal. Es muss etwas passiert sein.«
Tatsächlich waren viele Leute aufgesprungen und hatten angefangen, sich zu unterhalten, während der Sprecher das Mikrofon auf den Tisch gelegt und sich zu einer der kleinen Gruppen gesellt hatte. Automatisch rollte Aldo seine Ärmel wieder herunter, knöpfte die Manschetten zu und ging zum Saal hinüber. Das wär’s noch, wenn der sich mal einen Moment lang um seine Angelegenheiten kümmern würde, dachte Massimo und fing an, aufzuräumen, indem er die Tabletts aufeinanderstapelte.
Nach etwa einer Minute kehrte Aldo zurück. Er knöpfte die Manschetten wieder auf und blickte Massimo an, als hätte er ihm etwas mitzuteilen. Massimo sah ihn an und stellte die Tabletts ab.
»Was ist passiert?«, fragte er ohne lange Vorrede, da unübersehbar war, dass etwas passiert sein musste.
»Wenn ich das richtig verstanden habe ...«, setzte Aldo an und brach dann ab.
»Wenn du das richtig verstanden hast?«
»Dieser Japaner, Asahara. Sieht aus, als wäre er tot.«
Drei
Der Wecker. Ist das der Wecker? So ’n Mist. Also aufstehen, na los. Aber wieso ist das so dunkel draußen? Ist schlechtes Wetter? Mamma mia, wie das regnet. Die reinste Sintflut. Wunderbar. Na gut, ein Käffchen und dann los.
Die Tasse Kaffee in der Hand stand Massimo vor dem Fenster seines Wohnzimmers und schaute dem Regen zu, der wie dicke Bindfäden vom Himmel kam und auf die Straße peitschte. An jenem Morgen war er gut gelaunt aufgewacht, auf den letzten Spuren eines Traums, in dem er geflogen war, und wenn Massimo vom Fliegen träumte, wachte er immer voller Lebensmut auf. Der Anblick des Regens hatte seiner guten Laune nichts anhaben können, im Gegenteil: Jener prasselnde und heftige Regen, ohne Gewitter, elektrisierte ihn und sorgte dafür, dass er sich lebendig fühlte. Das war schon früher so gewesen. Unter einem Wolkenbruch zur Schule zu gehen war immer etwas ganz Besonderes für ihn gewesen. Und während er sich auf dem Schulweg bereits auf die Heimeligkeit des trockenen und warmen Klassenzimmers gefreut hatte, war er sich vorgekommen wie ein heldenhafter Reisender, der sich in einem Unwetter verirrt hatte.
Als er in der Bar ankam, schälte er sich aus Regenmantel und Regenhose, steckte diese in eine Plastiktüte und stellte sie ins Nebenzimmer. Dann begann er mit dem morgendlichen Ritual der zu erledigenden Dinge. Jeden Morgen, wenn er die Bar betrat, tat Massimo stets in unveränderlicher Reihenfolge dieselben beruhigenden Handgriffe. Est modus in rebus.
Als Erstes schaltete er die Kaffeemaschine ein, die mit dem üblichen zischenden Rumoren ihre Arbeit aufnahm und die absolute Stille der Bar durchbrach. Dann schaltete er den Backofen ein, die Eismaschine und den Geschirrspüler, anschließend stellte er die Tischchen und Stühle an ihren Platz im Gastraum, während die Möbel für draußen, wie immer, wenn es regnete, zur Strafe in die Abstellkammer kamen. Danach und immer erst als Letztes schaltete er die Lichter an. Auf diese Weise sah er sich stets einer schon lebendigen und funktionierenden Bar gegenüber. Schließlich holte er die Gazzetta dello Sport aus dem Briefkasten, die
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