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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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ihm der Zeitungsverkäufer jeden Morgen um halb sieben lieferte, setzte sich mit einem Glas Eistee an ein Tischchen und versenkte sich in die rosa Seiten. Das war der absolut schönste Moment des Tages. Allein, ohne eine einzige Sorge und in Frieden mit sich und der Welt.
    Beata solitudo, sola beatitudo. Glückliches Alleinsein, alleiniges Glück.
    Da klingelte das Telefon.
    Massimo blickte hinter sich, wo der vermaledeite Apparat stand.
    Als Reaktion darauf schrillte das Telefon mit grausamer Unbeirrbarkeit weiter, in einem Ton, der an das Rasseln einer Ziehbrunnenkette erinnerte, die, einmal losgelassen, scheppernd an die Winde schlagend in die Tiefe saust. Und der an der Kette befestigte Kübel mit Massimos Laune darin, sauste ebenfalls mit in die Tiefe.
    Man kann das Telefon nicht ignorieren, jedenfalls war es Massimo noch nicht gelungen. Massimo konnte Leute ignorieren, Verfallsdaten, seine gute Erziehung, die Bürokratie (sofern sie nicht die Bar betraf) und viele andere Dinge mehr, die er seiner Aufmerksamkeit nicht für würdig erachtete. Aber wenn das Telefon klingelte, musste er drangehen. Widerwillig stand er auf und schritt betont langsam zum Telefon, damit diese Nervensäge vielleicht zu der Überzeugung kam, dass niemand da war und auflegte, was bedeutete, dass es nichts Wichtiges war. Vielleicht war es ja Tiziana, die sich krankmeldete und nicht kommen konnte, was Massimos Laune noch tiefer würde sinken lassen.
    Beim Telefon angekommen, nahm er den Hörer ab:
    »BarLume, guten Tag.«
    Es antwortete eine Stimme mit einem Akzent aus dem Veneto.
    »Guten Tag, spreche ich mit dem Café BarLume?«
    »Ja, es ist immer noch die BarLume. Ich habe das Telefon in den letzten zwei Sekunden nicht woanders hingestellt.«
    »Hier spricht das Kommissariat von Pineta. Sind Sie Signor Viviani Massimo?«
    Das Kommissariat. Ach ja?
    »Ja, ich bin es.«
    »Dottor Fusco möchte Sie sprechen. Können Sie einen Augenblick in der Leitung bleiben, bitte?«
    »Bitte.«
    Fusco. Oh, Madonna. Mens nana in corpore nano.
    Was Massimo für Commissario Vinicio Fusco empfand, war eine Art gereiztes Mitleid. Jene Mischung aus Arroganz, Selbstgefälligkeit, Dummheit und Sturheit, die mit zweifelhaftem Geschmack zu jenem kompakten Block von etwa einem Meter fünfundfünfzig zusammengeschweißt waren, der Vinicio Fusco verkörperte, fand er traurig und gleichzeitig ärgerlich. Und wie immer bei Menschen, die uns unsympathisch sind, verwandeln sich Eigenschaften wie etwa die Körpergröße, die per se keinerlei intrinsische Bedeutung haben, in unverzeihliche Fehler, wenn nicht gar in optimale Ansatzpunkte, um sich über das fragliche Subjekt lustig zu machen.
    »Schönen Tag, Signor Viviani«, sagte Fuscos Stimme.
    »Das war er mal«, antwortete Massimo, während er an die Gazzetta dachte.
    »Ich müsste so bald wie möglich mit Ihnen sprechen. Können Sie aufs Kommissariat kommen?«
    »Im Moment nicht. Ich bin allein in der Bar. Ich muss warten, bis Tiziana da ist.«
    »Dauert das noch lange?«
    »Ich glaube nicht. Sie müsste gegen sieben da sein.«
    »Sehr gut. Sobald Signorina Guazzelli da ist, möchte ich Sie bitten, hierher ins Kommissariat zu kommen.«
    »In Ordnung. Sie könnten mir nicht schon mal sagen, worum ...«
    »Auf dem Kommissariat werde ich Ihnen alles sagen, machen Sie sich keine Sorgen«, erwiderte Fusco in einem Tonfall, der Massimo beinahe sarkastisch vorkam. »Einen schönen Tag noch.«
    Von wegen schöner Tag, dachte Massimo, während er mit trauriger Miene zur Gazzetta hinübersah. Jetzt muss ich mich wieder anziehen, mich in das Unwetter stürzen und dorthin gehen, um mir anzuhören, was dieser Quälgeist will. Na, bis Tiziana kommt, versuche ich erst mal, noch ein bisschen Zeitung zu lesen.
    Massimo setzte sich wieder bequem hin, trank ein Schlückchen Tee und schlug mit neu gewonnener Aufmerksamkeit die Gazzetta auf. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und ein seltsames grünes Wesen trat ein, etwa einen Meter siebzig groß, birnenförmig, mit zwei Armen, aber ohne Beine, das vor Wasser troff.
    »Mannomann, was für ein Regen«, sagte das Wesen. »Hast du das gesehen?«
    An der Stimme erkannte Massimo, dass sein Kindheitstraum, einmal einen echten Barbapapa kennenzulernen, sich auch jetzt nicht erfüllen würde, da das Wesen Tiziana war, in einen riesigen Regenmantel mit Kapuze gehüllt, der ihr Gesicht verbarg und ihr bis zu den Füßen reichte. Enttäuscht, auch weil Tiziana nun da war und er

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