Die Schnelligkeit der Schnecke
Nachmittag im Santa Chiara in Pisa aufgrund eines Atemstillstandes in Folge eines heftigen Schädeltraumas gestorben.«
»Entschuldigen Sie«, sagte Massimo. »Das habe ich nicht verstanden. Atemstillstand in Folge eines Schädeltraumas?«
Fusco hob den Blick und glotzte ihn mit dümmlichen Kuhaugen an.
»Ganz genau. Dieser arme Mann ist über einen Teppich gestolpert und hat sich den Kopf angeschlagen. Nach diesem Schlag auf den Kopf schien er verwirrt zu sein, weshalb seine Kollegen es für opportun gehalten haben, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Aber im Krankenhaus ist er nie eingetroffen, oder besser, er ist als Leichnam dort eingetroffen. Der Arzt, der ihn untersucht hat, hat das Ableben festgestellt und hat dieses in einer ersten Schätzung einem Atemstillstand zugeschrieben.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das verstehe nicht einmal ich. Und nicht einmal der Arzt hat das verstanden. Deshalb hat er zusammen mit unserem Gerichtsmediziner, Dr. Cattoni, die Autopsie angeordnet.«
Fusco ging zum Schreibtisch und setzte sich direkt vor Massimo auf die Kante desselben.
»Im Augenblick liegt mir der Autopsiebericht noch nicht vor, folglich gibt es nichts Offizielles. Aber die beiden Ärzte waren sich im Wesentlichen darüber einig, dass ein plötzlicher Atemstillstand bei einem Mann mit gutem Gesundheitszustand ziemlich unwahrscheinlich ist, folglich haben sie nach einer Ursache gesucht. Zufälligerweise haben sie in der Brieftasche des Professors ein Kärtchen mit medizinischen Hinweisen gefunden. Wissen Sie, eines von diesen Kärtchen, die auch Epileptiker bei sich tragen oder Leute, die eine bestimmte Krankheit haben oder Allergien, deretwegen sie bestimmte Medikamente auf keinen Fall bekommen dürfen, und auf denen steht, was im Krisenfall zu tun ist. Um es kurz zu machen, Professor Asahara litt an einer eher seltenen neurologischen Krankheit namens –«, Fusco konsultierte das Zettelchen, »namens ›Myasthenia gravis‹.«
Und jetzt kommt das Beste.
»Und das heißt?«, fragte Massimo, weil Fusco ihm etwas Ermunterung zu benötigen schien.
»Das heißt, obwohl die Dinge nicht allzu kompliziert erschienen, reichte den beiden Doktores nicht einmal das. Schön und gut, die Krankheit, sagen sie, aber der allgemeine Gesundheitszustand passe absolut nicht zu einer solchen Todesursache. Er lief herum, stand, redete, zeigte keine offensichtlichen Symptome der Krankheit. Kurz und gut, wenn es nur diese Krankheit gewesen wäre, hätte der Professor, der sich darüber hinaus noch bester Gesundheit erfreute, den Ärzten zufolge noch eine ganze Zeit weiterleben können.«
Bemerkenswert, dachte Massimo. Dieser Typ, der aussah, als wäre er hundertsechs Jahre alt und nur zufällig wach, war den Ärzten zufolge bester Gesundheit gewesen. Ganz schön hart im Nehmen, diese Japaner. Man sieht, dass Sushi, grüner Tee und Kugelfisch einen in Form halten, ganz egal, was man sonst für ein Drecksleben führt. Wecker, U-Bahn, Arbeit, Verbeugungen ... Während eine Hälfte von Massimos Gehirn diese Folge von Torheiten weiterspann, erwachte die andere zum Glück mit einem Schlag und schlug ihm ein mögliches Motiv für Fuscos Anruf vor.
Währenddessen fuhr Fusco fort: »Um es kurz zu machen, das Blutbild hat ergeben, dass der Verstorbene eine gewaltige Dosis Lorazepam zu sich genommen hatte, was ein Neuroleptikum ist.«
Hab schon kapiert. Tavor, nur damit wir uns verstehen.
»Also ein Medikament«, fuhr Fusco weiter fort, »das kein Arzt, der einigermaßen bei Sinnen ist, jemals einem Patienten, der unter dieser eben erwähnten Krankheit leidet, verordnet hätte. Im Übrigen schien der Professor keineswegs unter Angstattacken, Depressionen oder irgendwelchen anderen Verhaltensstörungen zu leiden, wie eine diskrete Umfrage im Kreis seiner Kollegen ergeben hat.«
»Ich habe verstanden«, sagte Massimo. Volltreffer, dachte er. Ich hab’s begriffen. Gut, wenigstens das Hirn funktioniert bei mir noch.
»Das ist alles.« Fusco erhob sich von der Schreibtischkante, ging um den Tisch herum und setzte sich dahinter, dann sprach er weiter: »Den Ärzten zufolge kann bei einem Menschen, der unter Myasthenia gravis leidet, die Verabreichung einer Arznei wie Lorazepam zu motorischen Ausfällen und geistiger Verwirrung führen. Das erklärt, warum dieser arme Tropf über den Teppich gestolpert ist und wahrscheinlich auch schon vorher ein bisschen benommen war. Aber vor allem kann diese Arzei einen Atemstillstand verursachen,
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