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Die Schnelligkeit der Schnecke

Die Schnelligkeit der Schnecke

Titel: Die Schnelligkeit der Schnecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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wortgetreu übersetzte. Nach einigen Minuten dieses seltsamen Stille-Post-Spiels fragte Fusco: »Am Tag der Eröffnung des Kongresses hat das Opfer eine Bemerkung zum Inhalt seines Computers gemacht und die Überzeugung ausgedrückt, dass besagter Inhalt das Potenzial dazu habe, Sie zu zerstören. Dieser Umstand ist dank der Aussage eines Zeugen gesichert. Ich zitiere wörtlich aus der Aussage von Professor Antonius Snijders: ›In my laptop, I have something that will destroy Professor Watanabe.‹ Ist Ihnen dieser Umstand bekannt?«
    »Nein«, sagte Massimo nach dem üblichen Zwischenspiel und bemerkte, dass Watanabes Gesichtsausdruck sich jetzt noch mehr verhärtete.
    »Sind Sie in der Lage, eine Vermutung zu äußern, was dieser spezielle Inhalt sein oder worauf sich diese Bemerkung beziehen könnte?«
    »Nein«, wiederholte Massimo im Vertrauen auf Koichi, ohne allerdings übersehen zu können, dass dieses zweite »Nein« des Professor Watanabe, so eindeutig negativ es in seiner Substanz auch war, ihm in der Form etwas artikulierter und langgezogener erschien als das vorhergegangene.
    »Angesichts der Umstände muss ich Sie fragen, ob Sie in der Vergangenheit Beweggründe hatten, die Sie dazu hätten bringen können, den Tod von Professor Asahara zu wünschen.«
    Massimo übersetzte, und Koichi blickte ihn über den Rand seiner Brillengläser hinweg besorgt an. Lass mich diese Frage nicht stellen, sagte der nervöse Gesichtsausdruck des Japaners auf Esperanto. Es entstand ein Moment peinlich berührten Schweigens, der noch erschwert wurde durch die Tatsache, dass Watanabe, soweit Massimo sehen konnte, die Frage sehr wohl verstanden hatte.
    »Übersetzen Sie«, sagte Fusco etwas ungeduldig.
    »Watanabe gakucho ...«, setzte Koichi an, nachdem er sich wie ein Skifahrer vorgebeugt hatte, doch er wurde sofort von Watanabe mit einem regelrechten Befehl, trocken und entschieden, zum Schweigen gebracht, geäußert in einem ebenso schlechten wie bedrohlichen Englisch: »No nìd transretion!«
    Es gab keinen Bedarf an einer Übersetzung, in der Tat. Weder für die Frage noch für die Antwort.
    In den zwei folgenden Minuten, zumindest dem zufolge, was Koichi Massimo berichtete, während er sich unaufhörlich wie ein Oszillogramm verbeugte, erklärte ein Vulkan in Form Watanabes in einem Tonfall, der die sprachlichen Barrieren locker überwand, die verschiedenen Hinsichten, in denen ihn diese Frage beleidigte: als Kollegen, als Menschen, als Universitätsangehörigen und als Japaner, was in dem Schluss gipfelte, dass er für heute Vormittag genug beleidigt worden sei und nicht vorhabe, weitere idiotische Fragen zu beantworten. Nachdem die akute Phase des Ausbruchs beendet war, drehte sich die japanische Leuchte um, ging aus dem Raum, ohne auch nur die Tür hinter sich zu schließen, und ließ das heterogene Quartett der Ermittler sichtlich verlegen zurück.
    »Ehrlich gesagt wäre es mir lieber gewesen, er wäre handgreiflich geworden«, sagte Fusco mit bemüht gleichgültiger Miene nach ein paar Sekunden, ohne Massimos Übersetzung abzuwarten. »Galan, da die Tür nun schon mal offen ist, gehen Sie und holen Sie den Nächsten herein, und möge Gott uns beistehen.«
    Der Zweite war, wie in Fuscos Logbuch vorgesehen und von selbigem bestätigt, Doktor Shin-Ichi Kubo, einer der drei direkten Mitarbeiter Asaharas unter den Kongressteilnehmern, der aus derselben Fakultät war wie der Verblichene. Auch der fünfundreißigjährige Kubo war in tadelloses Grau gekleidet, aber im Unterschied zu Watanabe (abgesehen davon, dass er größer war als ein Nachtschränkchen) hielt er den Blick statt auf Fusco auf den Boden gerichtet, als hätte er nicht die Kraft, ihn zu erheben. Es war jedenfalls unübersehbar, sowohl an den umschatteten Augen als auch am verquollenen Gesicht, dass das Ableben Asaharas für ihn ein Unglücksfall von nicht geringer Bedeutung war. Auch ihm wurden die rituellen Fragen gestellt, die er schlicht beantwortete, wobei er weiterhin zu Boden blickte, als läse er die Antworten auf den Fliesen. Sicher kenne er Professor Asahara. Er arbeite seit drei Jahren mit ihm zusammen, seit er an die Waseda gegangen sei, Tokios Universität, an der er beschäftigt sei. Nein, er wisse nichts davon, dass der Professor an Myasthenie gelitten habe. Nein, Asahara habe nicht an Depressionen gelitten, oder zumindest nie irgendein Anzeichen davon erkennen lassen. Ja, er wisse, dass Asahara diese Worte gesagt habe. Sie seien ihm von

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