Die Schnelligkeit der Schnecke
Massimo. Zwei Buben und ein Ass. Lächelnd nahm er zwei Karten zwischen die Finger der rechten Hand, zwischen Daumen und Mittelfinger, und eine zwischen die der linken; mit einer langsamen und eleganten Bewegung, und nachdem er sich versichert hatte, dass Massimo auch hinsah, ließ er sie mit dem Bild nach unten über die Tischplatte gleiten. Anschließend blickte er Massimo an und zeigte mit der Hand auf die Karten.
Zu einfach, dachte Massimo. Er hat sich ungefähr so schnell bewegt wie ein krankes Faultier. Das Ass ist das in der Mitte.
Mit deutlich weniger Anmut als Aldo nahm er die Karte aus der Mitte und drehte sie um.
Pik Bube.
Massimo blieb der Mund offen stehen. Von Großvater wusste er, dass Aldo mit Karten phantastische Dinge anstellen konnte, er hatte ihn aber noch nie in Aktion gesehen. Aldo sah ihn an und lächelte zufrieden, während Massimo den iPod leise stellte.
»Wie hast du das denn gelernt?«
»Als junger Mann«, sagte Aldo, »als ich Kellner auf den Überseedampfern war.« Er nahm den Rest des Stapels und fing an, ihn mit den Daumen aufzublättern. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie langweilig es auf einem Schiff sein kann. Man muss irgendetwas finden, um die Zeit totzuschlagen. Aber es gab nur wenig Zeitvertreib, der für die Besatzung zugänglich gewesen wäre, wie du dir vorstellen kannst, und alles musste finanziell und vom Aufwand her begrenzt sein. Und an Verbrüderung mit den Passagieren war nicht mal zu denken.«
Bei dem Wort »Verbrüderung« sendete Massimos mentaler Projektor eine verträumte Bildersequenz junger Erbinnen, die Aldo mit halb kindlichem, halb laszivem Lächeln unter der Serviette heimlich den Schlüssel zu ihrer Kabine zuschoben, aber er riss sich sofort wieder zusammen. Vielleicht sollte ich doch wieder anfangen, mit Mädchen auszugehen, statt nur daran zu denken, sagte er sich, während Aldo weitererzählte.
»Weil ich unfähig war, Kontrabass zu lernen, und weil der Gedanke, mit dem Rest der Mannschaft herumzuvögeln, mir nicht besonders attraktiv erschien«, betonte Aldo und zerstörte damit die romantische Aura, mit der Massimo begonnen hatte, die Szene auszuschmücken, »habe ich angefangen, Kartentricks zu üben.
Stunden habe ich vor dem Spiegel verbracht, immer geübt und wieder geübt, ohne an irgendetwas anderes zu denken. Das war eine hypnotische Übung, die Konzentration erforderte. Nicht verbissen, sondern aufmerksam. Man durfte an nichts anderes denken. Und man merkte sofort, dass man sich selbst absolut nichts vormachen konnte. Wenn einem vor dem Spiegel ein Spiel misslang, wenn die Ecke der Karte auch nur für einen Augenblick rausguckte, dann war einem sofort klar, dass man das Spiel auf keinen Fall öffentlich vorführen durfte. Es wäre vollkommen danebengegangen, und man hätte mehr oder weniger das Gesicht verloren. Ein Zauberer muss unfehlbar sein, sonst macht er sich lächerlich oder ist bemitleidenswert.«
Aldo schob die Karten wieder in ihre Hülle und legte sie auf den Tisch.
»Manchmal denke ich, dass mir die viele Zeit mit den Karten vor dem Spiegel die geistige Gesundheit gerettet hat. Ich hab da Leute gesehen, die sich im wahrsten Sinn des Wortes das Hirn weggesoffen haben.« Aldo schwieg einen Moment, dann wechselte er den Tonfall und fuhr fort: »Jetzt mit der Arthritis gelingen mir die meisten Bewegungen nicht mehr so gut, aber das Spiel mit den drei Karten kann ich immer noch. Hast du kapiert, wie ich’s gemacht habe?«
»Nein. Und ich würde gern selbst darauf kommen, deshalb sag’s mir nicht. Du hast die Karten eine nach der anderen fallen lassen. Sehr langsam. Hattest du wirklich das Ass in der Hand oder hast du das schon vor dem Spiel ausgetauscht?«
»Sehr gute Frage. Nein, das Ass ist hier«, sagte Aldo und drehte die erste Karte zu seiner Linken um.
»Gut. Also hast du das Ass fallen gelassen und dabei so getan, als wäre es ein Bube.«
»Genau. Sehr gut.«
»Von wegen sehr gut. Wie hast du das angestellt, verdammt noch mal?«
»Sieh zu.«
Aldo nahm den Buben mit der rechten Hand, zwischen Daumen und Mittelfinger, und das Ass in dieselbe Hand, aber zwischen Daumen und Zeigefinger. Dann drehte er die Hand um, sodass die Karten mit dem Bild nach unten zeigten und das Ass sich leicht versetzt über dem Buben befand.
»Jetzt werfe ich nur diese beiden Karten. Du, der du mich die Bewegung ausführen siehst, gehst unbewusst davon aus, dass ich als Erstes die untere Karte fallen lasse. Aber das tue ich nicht.
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