Die Schockwelle: Thriller (German Edition)
der russische Militärgeheimdienst GRU sowie der KGB zuständig gewesen. Da die Bomben für Sabotage- und Terrorzwecke ausgelegt waren und ihre Entwicklung dem KGB unterlag, standen sie nicht unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums.
Während der Meteor-Vorbereitungen im Jahr 1989 waren Viktor Kovalenko vom KGB – der heutige Feliks Grischanow – und Gerhard Frey von der Stasi für den Transport der Kernladung von der DDR nach Ramstein verantwortlich gewesen. Ohne die Hilfe der Stasi hätten die Russen unmöglich einen Weg gefunden, um den Sprengsatz dicht genug an einen Atomsprengkopf der Amerikaner bringen zu können. Der KGB hatte sich traditionell bei Operationen gegen die NATO und die Bundesrepublik Deutschland auf die Hilfe der Ostdeutschen verlassen, und diesmal hatte man Barbara Keller in Ramstein gebraucht – auch wenn die nichts von ihrer Helferrolle wusste. Alles war gut gelaufen, bis Keller bemerkte, dass ihre Personenkontrollkarte für den Stützpunkt verschwunden war, und gleich darauf begriff, dass etwas im Gange war. Ralf Tanner hatte die Plastikkarte nur kurz entwendet, um den Magnetstreifen zu kopieren, aber sie hatten Pech bei der Wahl des Zeitpunkts. Schließlich hatte Feliks blitzschnell eine Entscheidung treffen müssen und Barbara Keller umgebracht.
Das hatte die Operation gerettet. Wäre die Berliner Mauer zwei Wochen später gefallen, wäre ein heimlich in den Luftwaffenstützpunkt Ramstein geschmuggelter Kernsprengsatz noch explodiert. Der »Unfall« hätte großen Druck erzeugt, die Atomsprengköpfe aus Europa abzuziehen, und hätte vielleicht sogar zum Auseinanderbrechen der NATO geführt.
Der Gang der Geschichte war jedoch ein anderer. Richter erinnerte sich noch an das letzte Gespräch, das er mit Frey geführthatte. Drei Tage zuvor war die Mauer in Berlin gefallen, und Menschenmassen hatten das Stasi-Hauptquartier in der Normannenstraße besetzt. In ihrer Panik vernichteten die Offiziere geheime Dokumente. Die Stimmung in der Gruppe, die Meteor umsetzen sollte, ging von Ungläubigkeit in Verzweiflung über.
»Ich werde weder mein Land noch meine Ideale verraten«, hatte Frey in Kaiserslautern, unweit von Ramstein, gesagt. Sie saßen in der Nähe des Hauses, das sie als Stützpunkt gemietet hatten, in einem Park.
»Deine Ideale kannst du wahren bis ins Grab, aber unser Land wird es bald nicht mehr geben«, erwiderte Richter.
»Blödsinn.« Freys Ton war eisig, fast bedrohlich. Der große Mann war ganz rot im Gesicht und wirkte plötzlich völlig unberechenbar. Er hatte seine Ausbildung in einer Abteilung für Sonderaufträge erhalten, zu deren Verantwortungsbereich die schwere Sabotage hinter der Frontlinie gehörte, unter anderem auch die Sprengung von Atomkraftwerken. Für die Zerstörung eines Kernreaktors existierten detaillierte Anweisungen, die festlegten, wo eine Sprengladung optimal zu platzieren wäre.
»Die Strafe für Landesverrat ist der Tod, das haben wir akzeptiert, als wir unseren Eid abgelegt haben«, fuhr Frey fort. »Daran halte ich bis zu meinem letzten Atemzug fest.«
Er hob den rechten Arm und sagte leise die alte Liturgie auf: »Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen, so mögen mich die harte Strafe des Gesetzes unserer Republik und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen.«
»Wir können die Ladung nicht nach Bärenstetten zurückbringen, nirgendwohin in die DDR. Wir brauchen Anweisungen aus Moskau …«
Frey sah Richter aggressiv an. »Moskau hat uns betrogen. Die Sowjetunion hat die DDR betrogen. Was hat der Narr im Kreml getan, als es darum ging, die Lage in Berlin in den Griff zu kriegen? Er hat uns an den Westen verkauft!«
Freys Blick strahlte kalten Hass und beängstigenden Fanatismus aus.
»Wir sind dem KGB nichts schuldig. Wir sind niemandem etwas schuldig.«
Damit stand Frey von der Parkbank auf und ging davon.
Richter glaubte, er werde ihn im Haus antreffen, aber dort war nur Kovalenko. Mehr von Intuition als von Vernunft getrieben, stieg Richter auf den Dachboden, wo sie die Kernladung versteckt hatten.
Das Versteck war leer.
In dem Moment begriff Richter, dass Frey die Ladung schon früher fortgeschafft hatte.
Er wollte seinem Vorgesetzten bei der HVA Meldung über den Vorfall machen, aber mittlerweile verwüsteten Menschenmassen das Hauptquartier in der Normannenstraße. Wem in der DDR sollte er den Vorfall jetzt melden? Die Stasi gab es nicht mehr.
Kovalenko hatte über Bonn Notfallkontakt
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